Gerlinda SWILLEN

Sprecherin von Born Of War international network (BOW i.n)

http://www.bowin.eu

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1. Die Vorgeschichte

In 2002 veranstaltet der Verein Fantom e.V. in Berlin das jährliche Historikertreffen mit als zentralem Themenkomplex „Kriegskinder“, unterstützt von der Deutschen Dienststelle (WASt) und seit einigen Jahren vom Landesarchiv Berlin, übrigens in seinen Räumlichkeiten.

Dieses Schwerpunktsetzen war ein wichtiger Beitrag, um ein bis dahin in der Öffentlichkeit nur marginal wahrgenommenes Thema zu enttabuisieren. Ein Thema das mit der späteren Anklage der norwegischen Lebensbornkinder gegen ihren Staat und dem Film von Weber in Frankreich in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts ins Rampenlicht trat.

Chronologie :

1994 – 1995 : Fantom e.V. in Berlin/Association Phantom à Rouen

1996 : Verein der dänischen Kriegskinder

2001 : sieben norwegische Lebensbornkinder verklagen die norwegische Regierung

2004 : Enfants maudits von Jean-Paul Picaper und Ludwig Norz

2005 : Lebensspuren e.V.

Coeurs Sans Frontières/Herzen ohne Grenzen

2006 : Amicale Nationale des Enfants de la Guerre

Verein der Wehrmachtkinder in Finnland

2007 : Klage der norwegischen Kinder beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Erstes Kriegskinderforum in Berlin

2008 : Verein der Kriegskinder in Belgien

Das starke Interesse von Wissenschaftlern und Medien international und das Engagement der Betroffenen machte deutlich, dass so ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der nach Aufklärung und Aufarbeitung verlangte.

2. Der Begriff

In Juni 2008 begegneten Historiker sich während eines Workshops an der Universität in Birmingham (Großbritannien) zum Thema: ‚Children Born Of War’. Dort wurde vereinbart einen deutlichen Unterschied zwischen „war children“, Kinder die den Krieg miterleben, und „ children born of war“, Kinder vom Krieg gezeugt zu machen. Auf Englisch und Französisch ist dieser Unterschied leichter als auf Deutsch oder Niederländisch.

Im Netzwerk haben die Vereine ab 2009 den Begriff verfeinert, besonders weil wir inzwischen deutsche Besatzungskinder nach Berlin eingeladen hatten, die Vereine und die Suchdienste eine Menge unterschiedliche Geschichten bekommen und meine eigene Erfahrung mit jetzt + 120 Zeugnissen in ganz Belgien uns zu Vorsicht ermahnen. Die Definition des Begriffs‚ ‚Kriegskind’ ist jetzt : ein Kind das ohne den Krieg, Kriegsumstände, das Konflikt nicht geboren wäre.

Auf Deutsch wird auch oft von einem ‚Besatzungskind’ gesprochen.

Zum Beispiel :

-Ostbelgien wurde in 1940 wieder Reichsgebiet, die Männer wurden von der Wehrmacht einberufen. Ein Kind eines solchen Soldaten, übrigens in seinem Wohnort geboren, ist kein ‚Kriegskind’. Kommt der Wehrmachtsoldat dagegen aus München, Hamburg, Österreich, … dann ist es wohl ein ‚Kriegskind’.

-Kinder von (Zwangs) arbeiter Innen oder Kriegsgefangenen in Deutschland sind auch Kriegskinder. Dasselbe gilt für die Kinder von deutschen Kriegsgefangenen in den vorher besetzten Gebieten eingesetzt.

-Die Kinder die von den alliierten Soldaten in Deutschland und Österreich gezeugt wurden, gelten auch als Kriegskinder.

Das Kriegskinderdasein wird meistens besonders von zwei Merkmalen bestimmt :

a. diese Kinder sind oder waren auf der Suche, meistens ihres Vaters, manchmal ihrer Mutter, oder ihrer beiden Eltern, wie zum Beispiel die Lebensbornkinder;

b. diese Kinder wurden von ihrer Umgebung als Kinder des Feindes geächtet.

Jedenfalls wurde die Identität sowohl des Kriegskindes als des Besatzungskindes als Folge des Krieges, der Umstände seiner Geburt und des daraus folgenden Familiengeheimnisses beeinträchtigt.

3. Das internationale Netzwerk BOWi.n.

– Schon am ersten Kriegskinderforum in Berlin am 20. Oktober 2007 wollten die Vereine ein internationales Netzwerk bilden.

– Am 31. Oktober 2009 war es so weit : das internationale Netzwerk wurde gegründet und man hatte die jetzt übliche Definition des Begriffs. Die Vereine von Dänemark, Finnland, Norwegen, Frankreich (Herzen ohne Grenzen), Belgien und für Deutschland Lebensspuren e.V. (die Lebensbornkinder) sind im Netzwerk vertreten. Auch hat man mich als Sprecherin gewählt.

– Während des Frühlings 2010 wurde den Namen Born Of War international network, BOW i. n. gewählt. Er ist eine bewusste Anspielung auf den Bogen der verbindet und geschmeidig ist, aber auch auf die Treffsicherheit und Geschwindigkeit des Pfeils. Später kam im Logogramm der Webseite auch das Bild der schwangeren Frau.

Am 22. Oktober 2010 hat BOW i.n. eine erste Pressekonferenz in den Räumlichkeiten des Reichstags abgehalten, zusammen mit einer Vertreterin der Besatzungskinder in Deutschland. Wir hatten als Ziel das Netzwerk der Öffentlichkeit vorzustellen und besonders einen Vorschlag :

Eine internationale Konvention für die Kriegskinder/Besatzungskinder

Aus ihren problemgeladenen Lebenserfahrungen, die von Forschungsarbeit gesichert werden, haben die Kriegskinder/Besatzungskinder geschlossen, dass es ein Verbrechen an der Menschheit bedeutet, einem Kind die Schuld an der Vergangenheit seiner Eltern zu geben. Aber sie weigern sich entschieden eine Opferrolle zu spielen. Im Gegenteil, sie wollen den Nachgeborenen ein Erbe schenken. Sie berufen sich auf das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das vor zwanzig Jahren in Kraft trat, besonders auf Artikel 6, 7 und 8:

Artikel 6

(1)Die Vertragsstaaten erkennen an, dass jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben hat.

(2)Die Vertragsstaaten gewährleisten in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung des Kindes.

Artikel 7

(1) Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden.

(2) Die Vertragsstaaten stellen die Verwirklichung dieser Rechte im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und mit ihren Verpflichtungen aufgrund der einschlägigen internationalen Übereinkünfte in diesem Bereich sicher, insbesondere für den Fall, dass das Kind sonst staatenlos wäre.

Artikel 8

(1)Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten.

(2)Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteile seiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihm angemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.

Die Kriegskinder/Besatzungskinder sind sich bewusst, dass dieses Übereinkommen über die Rechte des Kindes für die Vertragsstaaten unverbindlich ist. Darum fordern sie alle Mitglied¬staaten der EuropäischenUnion auf, die Initiative zu ergreifen, um eine ‚Kriegskinder/Besatzungskinder’ -Konvention zuwege zu bringen.

Solche Konvention soll von folgenden Grundprinzipien ausgehen:

1. Schützen:

– Schon vor der Geburt müssen die schwangere Frau und ihr ungeborenes Kind geschützt werden. Dabei ist es wichtig, die Umstände der Zeugung zu berücksichtigen (Vergewaltigung, Zustimmung, Liebesverhältnis, Prostitution, …)

Die Frau hat das Recht, eine Abtreibung zu wählen oder ihr Kind auszutragen.

Es ist wichtig, den besonderen Status der Frauen während Kriegen, Konflikten und allerart Besatzungen zu beachten. Aber auch die sozialen Strukturen, die Sitten, ethische Normen, die überwiegende Religion, … sind nicht ohne Bedeutung, geschweige denn die persönlichen, psychischen Normen.

– Eine Entbindung in menschenwürdigen Umständen soll gewährleistet werden.

– Leben ist mehr als überleben. Manche Gesellschaften schließen uneheliche Kinder und/oder Kinder des sogenannten Feindes aus. Um leben zu können brauchen Frauen und ihre Kinder Unterkunft und gesetzlichen Schutz. In unseren Gesellschaften bekommt ein Mensch diesen Schutz nur, wenn er eine Staatsangehörigkeit hat. Es kann nicht sein, dass – wie im Zweiten Weltkrieg – manche Kinder nach dem Krieg vaterlandslos werden.

– Vielleicht sollen die Asylgesetze für Frauen und Kinder aus Konflikt- und Besatzungsgebieten erweitert werden.

– Das Kind soll eingetragen werden und einen offiziellen Namen bekommen.

2. Recht auf die biologische Identität :

– Das Kind behält die gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen.

– Der Zugang zu den Archiven und Verwaltungsunterlagen darf nicht von Gesetzgebungen, die das Privatleben der Bürger schützen, gehemmt werden, wenn Kriegskinder/Besatzungskinder auf die Suche nach ihren Eltern und ihrer Familie gehen. Das Vorgehen der Deutschen Dienststelle (WASt) ist hier beispielhaft: Vorrang wird.

– Dem Kind auf der Vatersuche vor den Eltern oder Erzeugern gegeben. Die Deutsche Dienststelle (WASt) tritt als Vermittler mit den Verwandten auf.

– Das Kind hat ein Recht auf gesellschaftliche Hilfe und psychologische Begleitung bei der Suche nach den Eltern, wenn es dies will.

– Die Beeinträchtigung der Identität der Kriegskinder/Besatzungskinder beweist ausreichend, wie wichtig es für die Identitätsbildung eines Menschen ist, seine beiden Eltern zu kennen. Anonym entbinden, eine Findlingsklappe, zur Adoption freigeben ohne die Namen der biologischen Eltern mitzuteilen können nur verpönt werden.

Die Kriegskindervereine, verbunden in ihrem Netzwerk BOW i.n., fordern alle Staaten auf, deren Armeen an Friedenseinsätze teilnehmen, sich die Binde von den Augen zu nehmen, und einen realistischen Verhaltenskodex für ihre Soldaten auszuarbeiten. Da wo Männer und Frauen sich begegnen, gibt es sexuelle Verhältnisse, wobei Kinder gezeugt werden können. Aber es ist wichtig für das Kind, von beiden Eltern anerkannt zu werden, ihren Namen zu bekommen und die beiden Eltern zu kennen. Auch wenn die Truppen das Gebiet des Friedenseinsatzes verlassen, hat das Kind das Recht zu wissen, wer sein Vater ist.

– Am nächsten Tag, am 23. Oktober hat der Verein aus Dänemark dem Netzwerk eine Webseite geschenkt : www.bowin.eu mit Henny Granum als Webmeisterin.

– Am nächsten Kriegskinderforum in Oktober 2011 hat BOW i.n. sich für eine gemeinsame Briefaktion entschlossen um die Regierungen der Staaten, wo ein Kriegskinderverein anwesend ist, zu fragen welche die Richtlinien sind wenn Soldaten in Friedensmissionen eingesetzt werden.

– Juni 2012 : folgender Brief wurde geschickt :

Das internationale Netzwerk der Krigskindervereine BOW i.n. (Born Of War international network) – www.bowin.eu) – wurde im Oktober 2009 in den Räumen der Deutschen Dienststelle (WASt) in Berlin gegründet. Die Mitglieder sind alles Kinder, die ohne den Zweiten Weltkrieg nicht geboren worden wären, denn sie wurden entweder von Soldaten oder Angehörigen der deutschen Wehrmacht in den vom ”Dritten Reich” besetzten Gebieten gezeugt oder sie entstanden aus Beziehungen zwischen Kriegsgefangenen oder (Zwangs) arbeiterInnen) und BürgerInnen in Deutschland. Hinzuzurechnen sind die am Ende dieses Krieges und später gezeugten Kindern aus den Beziehungen der allierten Besatzungsmächte oder von deutschen Kriegsgefangenen – auch jenen in den Vereinigten Staaten.

Erst seit ca. 1990 sind diese Kinder dank der Klage der norwegischen Lebensbornkinder auf Schadensersatz gegen den norwegischen Staat ein Thema für Historiker, Soziologen, Psychologen und Journalisten geworden. (Der Lebensborn e.V. wurde 1935 von Himmler gegründet). In Belgien hat die wissenschaftliche Forschung über Kriegskinder erst 2008 begonnen. In Konfliktgebieten wie im ehemaligen Jugoslawien und in Afrika haben die aus Vergewaltigungen stammenden Kinder die Öffentlichkeit schockiert. In diesem Zusammenhang wurde auch bekannt, dass Kindersoldaten häufig als Kriegskinder geboren wurden.

Unsere Streitkräfte führen zwar nicht mehr Krieg im klassischen Sinn. Normalerweise kommen sie nur noch im Rahmen internationaler Abkommen in Friedensmissionen zum Einsatz. Dadurch sind aber Kontakte mit den EinwohnerInnen dieser Länder nicht ausgeschlossen. Aus solchen Beziehungen können naturgemäss wiederum Kinder entstehen.

Als Kriegskinder des Zweiten Weltkrieges haben wir am eigenen Leibe erfahren, wie es unseren Müttern ergangen ist, und wie selten man uns willkommen hiess. Aber was kann man Kindern aus solchen Beziehungen vorwerfen? Wie andere Staaten hat Belgien das Übereinkommen über die Rechte des Kindes unterschrieben. Belgien hat damit eine schwere Verantwortung für die von seinen Soldaten gezeugten Kinder übernommen. Internationale Friedenseinsätze dürfen kein neuer Krieg gegen Kinder sein.

Dieser Besorgnis wegen möchten wir Sie, Sire, fragen, welche Regeln die Militärverwaltung unseres Landes hinsichtlich der sexuellen und/oder Liebesverhältnisse unserer Soldaten mit der lokalen Bevölkerung erlassen hat? Welche Massregeln gelten im Falle einer Schwangerschaft, um die künftige Mutter zu schützen? Wie verhält es sich mit der Anerkennung der Vaterschaft und des geborenen Kindes und mit seinem Unterhalt? Hat das Kind einen Rechtsanspruch, seinen Erzeuger zu ermitteln? Sind die Unterlagen des Kindes zugänglich und in welcher Weise unterstützt man es bei seiner Suche nach seinem Erzeuger (cf. Artikel 8 und 9 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes)?

Diesen Fragenkatalog stellt das internationale Netzwerk BOW i.n an alle Staaten, in denen es einen Kriegskinder-Verein gibt. Weil wir davon ausgehen, dass Sie, Sire, unsere humanitäre Besorgnis teilen, bitten wir um eine Antwort auf unsere Fragen, und verbleiben mit vorzüglicher Hochachtung.

– Inzwischen haben wir die Antwort aus Frankreich, Dänemark, Norwegen und Belgien bekommen. Wir planen einen Brief im selben Sinne nach der NATO, dem Präsidenten Europas und dem der Vereinigten Staaten zu schicken. Nächstem Jahr werden wir in Oslo eine Pressekonferenz abhalten mit folgenden Schwerpunkten :

a. eine Analyse der Antworten

b. die doppelte Staatsangehörigkeit für alle Kriegs-/Besatzungskinder

c. Zugang zu Archiven und Unterlagen

Ihr Verein war vom Anfang an dabei, als Fantom e.V. die erste Begegnung der Kriegskinder organisiert hat. Coeurs Sans Frontières war bis 2010 im Netzwerk vertreten. Sie wissen welche wichtige Rolle Ihr Verein auf dem Weg nach der doppelten Staatsangehörigkeit gespielt hat. Ein internationales Netzwerk ohne Ihren Verein ist im Grunde genommen undenkbar. Als Sprecherin äußere ich hier nur den Wunsch aller Vereine : Ihre Stelle zwischen uns bleibt offen, aber wir brauchen Sie und heißen Sie vom ganzen Herzen Willkommen.