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Blaise Goquelin Sonderberichterstatter der Zeitung „Libération“ hat einen Artikel verfasst über die Besatzungskinder, deren Vâter marrokanische und afrikanische Besatzungssoldaten waren, die während der französischen Besatzung des Vorarlbergs von 1945/1953 geboren wurden.

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Einige Tage später schrieb Gérard Lefort ein Artikel über Wilma und Mohamed, die Eltern eines Tabu Kindes.

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Im Jahr 1946 wird in einer Enklave der österreichischen Alpen ein seltsamer demographischer Anstieg registriert. 200 bis 300 Neugeborene werden geboren deren Väter farbige Soldaten der französischen Armee waren, die diese Gegend besetzt hatten. Eine Abstammung die lange unter Verschluss gehalten wurde.

Die Tabu-Kinder

von Vorarlberg

Von Blaise Gauquelin

Hier betrifft es z.B. zwei Mädchen, die eine hatte den Spitznamen „die Negerpuppe“, auf die andere zeigte man mit dem Finger wegen ihrer flachen Nase und ihrer schwarzen Haare. Maria Pramendorfer und Karin Trappel leben in benachbarten Ortschaften in Vorarlberg, in den österreichischen Alpen, im äussersten Westen des CSFLandes, neben Tirol. Beide kennen sich nicht, aber es verbindet sie dieselbe Geschichte und zwar die von 100ten Mädchen und Jungen, die hier unmittelbar in der Nachkriegszeit geboren wurden. Früchte einer vorübergehenden Verbindung zwischen Österreicherinnen und farbigen Soldaten, die einige Monate, in der operettenhaften Gegend von Vorarlberg stationiert waren. Diese Kinder, deren Vermächtnis kaum in Erscheinung tritt, auch heute nicht, wo die Protagonisten schon verstorben sind.

Am 30. April 1945, nur wenige Tage bevor Nazi-Deutschland die Kapitulation in Berlin unterzeichnet, besetzt die erste französische Armee Vorarlberg. Sie wurde in Nordafrika zusammengestellt durch den General de Lattre de Tassigny und bestand im besonderen aus dem Regiment der Spahis (Nordafrikanische Reitertruppen), die gut zur Hälfte aus Nord- und Schwarz-Afrikanern bestand. In dieser Gegend, eingebettet zwischen Gletschern und Bodensee, wo nach einheimischen Hochzeiten, die Kinder blaue Augen hatten und die Hitler-Ideologie die österreichischen Ideale erstickte, sahen die Menschen dort verblüfft die Ankunft dieser fremdartigen Truppe. In der Mitte des Siegeszuges sahen sie flüchtig Gesichter, die sie vorher nie gesehen hatten : dunkel bis schwarz. Nach der Kapitulation wurde Österreich wie auch Deutschland durch die Alliierten in 4 Besatzungszonen aufgeteilt. Vorarlberg und Tirol stehen unter der Kontrolle der französischen Streitkräfte. Diese bleiben 10 Jahre bis das Land 1955 zur Souveränität zurückkehrt.

Geboren von einem feindlichen Soldaten, Afrikaner und Muselmane

Anfangs bestanden die französischen Truppen hauptsächlich aus Marokkanern. Jedoch ab Herbst wurden diese Männer nach und nach durch Franzosen ersetzt“, erinnert sich Renate Huber, eine Kennerin der zeitgenössischen Geschichte Vorarlbergs. Da die österreichischen Soldaten erst Monate nach Kriegsende heimkehrten, hat sich die Lokalpresse dem Geburtenanstieg, der 1946 registriert wurde, zugewandt, sowie den typischen Gesichtern etlicher Neugeborener. Frau Huber schätzt in den Tälern, die Anzahl der Geburten von „Feinden“ auf 200 bis 300 gemäss den erschienenen Artikeln in der Presse. Nach einer Zusammenfassung der Geburtsregister zwischen Januar und Juni 1946 fragt eine Vorarlberger Zeitung : „Kinder von wem?“. Für die meisten dieser Kinder ist diese Frage noch in der Schwebe und lange Zeit verschwiegen wegen der Schmach einer 5-fachen Tabu-Verbindung : ausserehelich, mit einem feindlichen Soldaten, kolonialisiert, aus Afrika kommend und obendrein Muselmane.

Spahis in Bregenz

Ein Kommando von marokkanischen Truppen der französischen Armee Anfang 1946 in Bregenz (Vorarlberg)

Über ihren Vater weiss Maria Pramendorfer nichts. „Meine Mutter hat mir überhaupt nichts gesagt“. Sie lebt in einer modernen, gepflegten 2-Zimmer-Wohnung noch immer in Bludenz, einer kleinen hübschen Stadt mit 14000 Einwohnern, an einem Knotenpunkt von 5 Tälern, wo sie am 12.März 1946 geboren wurde. Heute als Ur-Grossmutter spricht sie zum erstenmal darüber. „Mama hiess Anna. Sie war im 6. Monat schwanger, als ihr Mann von Russland zurückkam, wo er in Gefangenschaft war. Sie hatte schon 3 Kinder, wovon das älteste, mit nur 15 Jahren, eingezogen wurde und als vermisst galt“. Als Anna von weitem die Gestalt ihres Ehemannes Ferdinand Grasbon erkannte, dachte sie, ihre letzte Stunde hätte geschlagen. Aber der Krieg verändert einen Mann. Zur selben Zeit, als er den Namen seines Sohnes auf dem Kriegerdenkmal eintragen liess, hat Ferdinand die kleine Maria als sein leibliches Kind anerkannt. „Man erzählte mir, dass er abends geduldig mein krauses Haar kämmte. Er gab mir all die Liebe die ich brauchte. Seine Frau wurde noch einmal schwanger, bevor er an Lungenkrebs starb, als ich 2 ½ Jahre alt war“. Auf der Strasse jedoch verspottete man die kleine Maria wegen Ihrer Nase, die man „viel zu dick“ fand. „Ich habe dem nicht wirklich Aufmerksamkeit geschenkt, denn , dass ich die Tochter eines anderen sein könnte, kam mir nicht in den Sinn. Erst als Jugendliche hat jemand aus meinem Umfeld mich gefragt, ob ich wüsste , dass mein Vater ein Marokkaner wäre. Dies war ein Schock! Ich behielt diese Information für mich und habe mein Leben lang geschwiegen. Meine Mutter zu fragen, das wäre einen Mangel an Respekt“ fand sie. Im Schweigen über dieses Familiengeheimnises hat sich Maria Pramendorfer ein Leben als Mutter und Hausfrau aufgebaut. Bis zu einem Zusammenbruch vor 3 Jahren, der sie in ein Krankenhaus zwang. Eine Psychologin fragte sie : „Von wo kommen sie ?“. Sie ist diese Frage gewöhnt, jedoch diesesmal wird sie sich mitteilen. Sie spricht über ihren marokkanischen Vater, dessen Namen sie nicht kennt. Diese Frau ermutigte sie ihn zu suchen. Nach ihrem 60. Geburtstag entdeckt sie plötzlich das Bedürfnis mehr wissen und erfahren zu wollen. Es ist zu spät. Anna war schon lange tot und hat das Wissen mitgenommen und damit auch die Möglichkeit den Vater zu finden.

Suche nach den Wurzeln

In Bregenz, einer lieblichen Kreisstadt Vorarlbergs, mit nur 28000 Einwohnern und 52 km von Bludenz entfernt, ist Karin Trappel, die ebenfalls dasselbe Leid erfahren musste. Eigentlich mag sie die alten Geschichten nicht wiederkäuen, dennoch erzählt sie. Ende des Krieges hat ihre Mutter Wilma, ein junges Mädchen von 18 Jahren, die Wäsche für die „Afrikaner“ gewaschen. „Diese Burschen, Hühnerdiebe“, wie die Leute der Gegend sie nannten, mit dem üblichen Hass der Besetzten,„ die nachts betrunken in die Bauernhöfe eindrangen und nach Frauen suchten.“ Die Vergewaltigungsgerüchte waren sehr verbreitet umsomehr, weil die französischen Streitkräfte verboten, des nachts die Türen zu verschliessen, um einfacher Kontrollen durchführen zu können. Karin Trappel hingegen wurde erzogen mit dem Bild des Afrikaners, freundlich und sanftmütig, der Kaffee, Weissbrot und Zigaretten für den Grossvater, der ein starker Raucher war, brachte. Sie weiss Bescheid, sie kennt den Namen ihres Vaters : Mohamed ben Bouchaib. „In unserer Familie gab es keine Rassisten“ erzählt sie. „Meine Grosseltern mütterlicherseits haben meinen Vater, den sie Mimi nannten, wirklich verehrt. Sie fanden ihn hübsch, aber unheimlich abergläubisch. Wenn er kam um meine Mutter ins Kino abzuholen, fotografierte ihn mein Grossvater, weil er ihn so schön fand“. Mohamed-Mimi blieb 8 Monate in Bregenz. Für ihn war der Krieg nicht zu Ende, denn in diesem Jahr, 1946, begann der Krieg in Indochina. Er geht, lässt seine schwangere Wilma zurück und verspricht ihr zu schreiben, was er auch tat. Sein letzter Brief kam 1950. Wilma heiratet und Karin wird von ihren Grosseltern mütterlicherseits grossgezogen, die sie fern hielten vom feindseligen Stiefvater. Sie wurde nicht getauft, weil niemand aus ihrem Umkreis Pate oder Patin werden wollte von „so einem Kind“. „In der Strasse riefen mir die Kinder „Mimi“ hinterher, denn alle wussten, wer mein Vater war. Ich erinnere mich, dass ich mit 11 Jahren in der Schule gelogen habe, indem ich behauptete, dass mein Vater ein Algerier sei. Ich wollte nicht zugeben, dass er Marokkaner war, denn in den Köpfen der Menschen waren die Marokkaner die Besetzer. Deshalb sagte ich „Algerier“, weil die nach dem Krieg nicht nach Vorarlberg kamen. Zu sagen, dass er marokkanisch sei, wäre öfffentlich zu bekennen, dass ich die Tochter eines Feindes bin. Die Schwester meiner Grossmutter nannte mich „Negersoldaten-Balg“ und zeigte mit dem Finger auf mich“. Karin Trappel geht ihren Weg. Erst als Hausfrau und dann als Schneiderin. Aber 1999, mit 53 Jahren, befällt auch sie der Wunsch, etwas über ihre Wurzeln zu erfahren. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem Vater, fuhr bis nach Vietnam, wo sie vergebens Militärfriedhöfe absucht. 10 Jahre später trifft sie den französischen Journalisten Maurin Picard, der von Wien aus, sich für das Los der Kriegskinder aus Vorarlberg interessiert. Dank ihm bekam sie die Kopie eines Berichtes/ rapport du corps des französischen Expeditionskorps in Fern-Ost, dass der Soldat Bouchaib, „Kennnummer 3062 vom 8. Marokkanischen Infantrie-Regiment, am 16.06.1950, in der Nähe von Cao Bang, an der chinesischen Grenze, als vermisst gemeldet wurde“. Er verschwand am 27. Mai dieses Jahres während eines Angriffs im Dschungel. Karin Trappel konnte nicht mehr mit ihrer Mutter über diesen Tod „auf dem Feld der Ehre“ sprechen; sie starb 2000.

WM
Mohamed ben Bouchaib und Wilma, der Vater und die Mutter von Karin Trappel, fotografiert jeweils 1945 und 1946. Der typische Marokkaner, aufgenommen durch den Vater von Wilma.

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Maria Pramendorfer mit ihrer Mutter Anna 1953 in Zalum in Vorarlberg. Maria wird nie die Identität ihres Vaters erfahren; ein Familiengeheimnis

Die Gespenster der Landsleute

Die Mütter dieser Kinder erreichten ein fortgeschrittenes Alter“ erinnert sich der marokkanische Psychloge Hamid Lechhab aus Fez, in Marokko. Er lässt sich 1990 in Feldkirch nieder, einem herrlichen, mittelalterlichen Ort in Vorarlberg, ohne zu wissen, dass seine Wege dort auch die Gespenster seiner Landsleute von der französischen Armee, kreuzen würden. „Das erstemal hörte ich 1989 von diesen Geschichten. Zu dieser Zeit wohnte ich mit meiner österreichischen Frau in Strassburg. Ihre Tante erzählte uns mit bewegten Worten, dass sie eine Beziehung mit einem marokkanischen Soldaten hatte. 3 Jahre nach meiner Ankunft in Vorarlberg wurde ich von einem österreichischen Kollegen angesprochen, der mit mir seine Abstammung klären wollte : Sein Grossvater war ein marokkanischer Soldat. Dies war 1993. Fast ein halbes Jahrhundert war vergangen seit dem Kriegsende und der Geburt dieser Mischlingskinder. Zeit für die Rückkehr der Erinnerungen? Geschichten finden ihre Zuhörer, wenn das Herz voll ist und sich die Zunge löst“. Hamid Lechhab hat zwischen 1990 und 2000 mehr als 160 von ihnen getroffen. „Sehr oft haben die jungen Frauen die Gegend verlassen, nachdem sie in einem Kapuziner-Kloster niedergekommen waren. Man schätzt, dass 70 Kinder nach Frankreich, in französische Familien, verschickt wurden. Eines Tages kam ein Mann aus Lyon zu ihm : seine Adoptiveltern hatten ihm am Ende ihres Lebens seine Geschichte eröffnet und er suchte nach seinen Wurzeln“.

2006 hat Hamid Lechhab ca. 15 dieser „verlorenen Kinder“ , auf der Suche nach Spuren Ihrer Väter, von Vorarlberg nach Marokko begleitet. Karin Trappel und ihre Tochter waren dabei. In den Archiven über alte Frontkämpfer in Cassablanca, welches vom französischen Konsulat geführt wird, haben die beiden durch Zufall einen Veteranen getroffen, der wusste, dass er Vater einer Tochter ist, die in Österreich geboren wurde. „Der alte Herr, auf seinen Krückstock gestützt, hat lange geweint“ erinnert sich Hamid Lechhab. Aber ihre Abstammung konnte man nicht mehr feststellen. So wurde er zum symbolischen Vater der gesamten Gruppe.