Dr Michael MARTIN

Ritter im Orden der Palmes Académiques, ehemaliger Leiter des Stadtarchivs und des Museums Landau in der Pfalz, ehemaliger Präsident der AG Kommunalarchive in Rheinland-Pfalz und Saarland,, ehemaliger Präsident von ERASM (Entente Rhénane des Archivistes Municipaux).

Franzosische Besatzungszeit

Zuerst einmal einige allgemeine Vorbemerkungen zur französischen Besatzungszone, damit Sie sehen, wovon wir sprechen.

Die französische Besatzungszone in Deutschland (eine der drei Westzonen, jedoch auch für sich alleine Westzone genannt) wurde aus Teilen der amerikanischen und britischen Besatzungszonen gebildet, in die Deutschland nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht von den Vier Mächten eingeteilt worden war. Die Gebiete für die französische Besatzungszone wurden gemäß Berliner Erklärung vom 5. Juli 1945 durch die französischen Truppen und der Verwaltung von den britischen und amerikanischen Alliierten übernommen.

Aus dieser Zone bildete die französische Militärregierung 1945 bzw. 1946 die Länder Baden, Württemberg-Hohenzollern und Rheinland-Pfalz sowie das Saarland, das bereits im Februar 1946 aus der französischen Besatzungszone ausgegliedert und als Saarprotektorat (Protectorat de la Sarre) einem Sonderregime unterstellt wurde mit dem Ziel, es künftig in das Territorium der IV. Französischen Republik einzugliedern, was dann aber bei den übrigen Alliierten auf Ablehnung stieß.

Ferner gab es in Berlin einen französischen Sektor in den Westberliner Bezirken Reinickendorf und Wedding neben den Sektoren der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion.

Am 23. Mai 1949 wurden die Länder Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland. Bereits 1952 fusionierten die Bundesländer Baden und Württemberg-Hohenzollern mit dem von der amerikanischen Militärregierung gebildeten Land Württemberg-Baden zum Bundesland Baden-Württemberg. Das Saarland trat erst 1957, nach Ablehnung des Saarstatuts in einer 1955 durchgeführten Volksabstimmung, der Bundesrepublik bei.

Zur französischen Besatzungszone gehörte außerdem der bayerische Landkreis Lindau. Dieser diente als Verbindungskorridor zur französisch besetzten Zone im Westen Österreichs. Die Wiedereingliederung des Landkreises nach Bayern erfolgte am 1. September 1955.

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Der erste Militärgouverneur der französischen Besatzungszone und Oberbefehlshaber über die französischen Besatzungstruppen in Deutschland war Jean de Lattre de Tassigny, Oberbefehlshaber der 1. Französischen Armee (später: Rhin et Danube). De Lattre wurde aufgrund seines Führungsstils und extrovertierten Verhaltens im Juli 1945 nach Paris zurück beordert. Sein Nachfolger wurde Marie-Pierre Kœnig, der dieses Amt bis zum 21. September 1949 innehatte.

Mit Bildung der Alliierten Hohen Kommission, mit Sitz auf dem Petersberg bei Bonn, im September 1949 wurde das Amt des Militärgouverneurs durch das Amt des Hohen Kommissars abgelöst. Hoher Kommissar für die französische Besatzungszone war André François-Poncet vom 21. September 1949 bis zum 5. Mai 1955. Im Zuge dieser Änderung wurde auch der Sitz der französischen Besatzungsverwaltung von Baden-Baden auf den Petersberg verlegt.

Ich kann nun in der kurzen Zeit freilich nicht jede einzelne Region beschreiben. Ich will vielmehr auf einige Aspekte der Besatzung eingehen.

Was unterschied die französische Besatzungszone von den anderen Zonen?

1.Die Franzosen kamen sozusagen als „verspätete Sieger“ und wurden von vielen Deutschen nicht ernst genommen.

2.Die Franzosen kamen, wie die Russen, aus einem von den Deutschen im Krieg besetzten Land. Und damit aus einem ausgebeuteten und verwüstetem Land.

3.und dies gilt nur für den linksrheinischen Teil der Zone: Hier waren die Franzosen schon einmal und zwar nach dem Ersten Weltkrieg – bis 1930. Sie müssen sich das vor Augen halten: nur 15 Jahre vorher waren sie abgezogen! Ich komme darauf noch zurück.

4.Die französische Besatzung war bürokratisch gesehen ein kompliziertes Gebilde. Eigentlich war sie zu Beginn eine rein militärische Besatzung, aber im Laufe der Zeit entwickelte sich notwendigerweise auch eine zivile Verwaltung – und damit zahlreiche Kompetenzprobleme zwischen den verschiedenen Ministerien. Man muss sich immer wieder vor Augen halten: während die beiden anderen westlichen Alliierten sich als nichtbesetzte Länder auf eine Besetzung Deutschlands vorbereiten konnten, mussten die Franzosen viel mehr improvisieren. Sich mit den Verwaltungsstrukturen zu befassen, mag ja langweilig sein, aber gerade für uns, die wir ja auf der Suche in Verwaltungsarchiven sind, ist es unabdingbar wichtig, zu wissen, welche Behörde kann sich mit uns beschäftigt haben. Die meisten Suchenden wenden sich ja an das Militär und seine Archive, ohne zu ahnen, dass das Außenministerium die entscheidenden Dokumente verwahrt.

Nun zur Geschichte:

Am 19. März 1945 hissten Truppen der 1. französischen Armee zum ersten Mal in Scheibenhardt auf deutschem Boden die Trikolore. Der Kampf um die Pfalz war nach heftigen Kämpfen am 25. März mit der Flucht der letzten deutschen Truppen über den Rhein zu Ende. Für die Franzosen war die Eroberung der Pfalz, wenn auch mit Hilfe der Amerikaner, ein großer Prestigeerfolg. Schon am 30. März konnte General de Gaulle in Speyer eine Truppenparade abnehmen und am nächsten Tag zum ersten Mal den Rhein überqueren.

Der Feldzug ging dann weiter in das heutige Baden-Württemberg. Die Franzosen hatten großes Interesse, schnell vorzustoßen, um die Reste der Vichy-Regierung, die sich in Sigmaringen aufhielten, selbst zu fassen und dies nicht den Amerikanern zu überlassen.

Die beste literarische Schilderung dieser Endzeittage in Sigmaringen stammt von Louis-Ferdinand Céline in seiner Romantrilogie „D’un château l’autre“, „Rigodon“ und „Nord“.

„Wenn die bei uns so hausen wie die Deutschen in Frankreich gehaust haben“, schrieb eine Pfälzerin im März 1945 in ihr Tagebuch, „dann geht es uns noch schlecht“. Die Frau sollte Recht behalten. Während die Amerikaner ihre Rolle als Besatzer weitgehend emotionslos spielten, war für die Franzosen der Einmarsch nach Deutschland und die Eroberung deutschen Bodens sehr emotionsbeladen. Es sah alles danach aus, als sollte sich das Jahr 1918 wiederholen, ja als sollte alles noch viel schlimmer werden.

Es waren die „Hungerjahre“, die folgten. Dass es der Bevölkerung in der französischen Besatzungszone schlechter ging als den Menschen in den anderen Zonen, soll und kann nicht verschwiegen werden. Es waren aber weniger Schikanen der Besatzer als vielmehr die Unmöglichkeit, aus einem ausgeplünderten Land, wie es Frankreich nun einmal nach der deutschen Besatzung war, ein besetztes, weitgehend zerstörtes Territorium mit zu ernähren.

Zu den als ungerecht empfundenen Härten gehörten sicher auch die vielen Inhaftierungen in Internierungslagern und in Gefängnissen.

Ausmaß der Verhaftungen und Einzelheiten der Haft sind immer noch nicht so erforscht, als dass ein historisches Urteil abgegeben werden könnte. Die entsprechenden Akten der französischen Militärjustiz sind und bleiben leider noch auf Jahrzehnte hinaus unter Verschluss. Auch die Akten der Prozesse gegen Deutsche sind nicht zugänglich. Obwohl es in diesen Verfahren um die Mitwirkung Deutscher im Dritten Reich ging – also eine rein deutsche Angelegenheit – ist eine Benutzung nicht möglich. So bleiben die Augenzeugenberichte von Betroffenen – sie werden im übrigen immer weniger – als einzige Quellen.

Die französischen Truppen hatten noch nicht das gesamte linke Rheinufer besetzt, als General de Gaulle am 24. Januar 1945 auf einer Pressekonferenz verkündete: „Frankreich will diesen Krieg nicht beenden, ohne sich vergewissert zu haben, dass sich die Macht Frankreichs für immer von einem Ende des Rheins bis zum anderen festgesetzt hat. Die Erfahrungen der letzten Jahre bilden einen genügenden Beweis. Sie haben dargetan, dass Frankreich, wenn es die Rheinlinie nicht hält, der Invasion preisgegeben ist. Frankreich wünscht, diese Erfahrungen nicht noch einmal zu machen… Aus diesem Grund gedenkt Frankreich diese Linie dauernd zu halten.“ Damit griff man in Paris auf di Entwicklung nach 1918 zurück, wo man im Linksrheinischen einen Separatismus durchsetzen wollte, d.h., die Pfalz und das Rheinland sollten sich vom Deutschen Reich trennen

Spätestens am 30. August 1945 – jetzt war die gesamte Pfalz von den Franzosen besetzt – wurde diese politische Leitlinie vor Ort publik. Die Nr. 2 des „Bulletin d’Information du Gouvernement militaire du Hesse-Palatinat“ brachte auf Seite 1 die Meldung: „Frankreich hält an seinem Vorschlag fest, das linke Rheinufer und das Ruhrgebiet zu einem Pufferstaat zu machen“.

Nun wiederholte sich die Entwicklung wie nach 1918. Auch diesmal mit diskreter aber aktiver Unterstützung von französischen Besatzungsoffizieren, die bereits nach dem1. Weltkrieg im Rheinland waren.

Aber dieses Mal war die separatistische Bewegung lange nicht so virulent. Es war vor allem de Gaulle, der bald erkannte, dass dieser Weg in die Irre führte. Spätestens 1947 war die Idee eines Satellitenstaates vom Tisch. Abgesehen natürlich von der Sonderrolle des Saarlandes, wie ich sie schon erwähnt hatte. Hier standen ja die wirtschaftlichen Aspekte, also die Vereinnahmung der saarländischen Kohlebergwerke im Vordergrund.

Man könnte jetzt auf die vielen Aspekte der französischen Besatzungspolitik eingehen: auf die Entnazifizierung, die in den Händen der Deutschen lag, aber von den Franzosen kontrolliert wurde, auf die Bildungspolitik mit der anfänglichen Durchsetzung des französischen Schulsystems, mit der Gründung der Universität Mainz, auf die Geschichte des Rundfunks mit den zwei regionalen Sendern in Mainz und in Stuttgart und generell könnte man von einer ganz intensiven Kulturpolitik sprechen, wie sie es in dieser Form in den anderen Westzonen nicht gab. Hier spielte natürlich der jakobinische Missionsgedanke eine große Rolle, also Frankreich als der Träger der abendländischen Kultur.

Es ist ein Wunder, dass nach den entsetzlichen Erfahrungen, die die Franzosen im Zweiten Weltkrieg gemacht hatten, es dennoch bald zu einer Verständigung kam. De Gaulle, Adenauer und Schuman sind hier in erster Linie zu nennen. Dann aber auch die vielen Einzelpersonen, die sich auf beiden Seiten für ein neues Miteinander eingesetzt haben. Vor allem in den Deutsch-Französischen Gesellschaften und in der Partnerschaften zwischen Städten und Gemeinden.

All die Themen, die ich kurz erwähnt habe, sind weitgehend wissenschaftlich erforscht. Wo es allerdings um personenbezogene Daten wie die Unsrigen geht, bleibt es noch viel zu tun. Die entsprechenden Akten lagen alle im sog. Besatzungsarchiv in Colmar und seit zwei Jahren im neuen Archiv des Quai d’Orsay in La Courneuve.

Zu finden sind dort die schon so oft zitierten etwa 20 000 Einzeldossiers über die Besatzungskinder, übrigens alle nach dem Namen der Kinder geordnet. Es gibt Akten über Waisenhäuser, die die Franzosen nach 1945 für Kinder einrichteten, in der Pfalz in Bad Dürkheim und dann im Schwarzwald in Nordrach. Zuständig für die Einrichtung und Verwaltung war die „Direction des personnes déplacées et réfugiées“. Alle diese Akten sind, sofern sie personenbezogen sind, nach einer Sperrfrist von 60 Jahren frei benutzbar. Es gibt dennoch Probleme: kein Mensch im Archiv spricht deutsch. Folglich wissen die Archivare nicht, was in den Akten überhaupt enthalten ist. Und so ist die Freigabe doch recht willkürlich.