CSF-HOG am Kongress der FAFA

Der Vortrag zur Vorstellung von CSF-HOG auf dem FAFA-Kongress in Saint Brieuc im Oktober 2021 durch unsere Präsidentin Chantal Le Quentrec ist eine bemerkenswerte Zusammenfassung der Geschichte, der Ziele und der Perspektiven unseres Vereins.

 

Guten Tag alle zusammen!

Ich erzähle Ihnen etwas über den Verein Coeurs sans frontières / Herzen ohne Grenzen, dessen Präsidentin ich bin.Ich stelle Ihnen hier Hubert Le Neillon vor, der Mitglieder unterstützt, die in der Bretagne, der Normandie und in Österreich wohnen.

Coeurs sans Frontières ist  ein „ Verein der Kriegskinder des Zweiten Weltkrieges

Die Kriegskinder-Vereine sind Vereinigungen von Menschen, die im einen Krieg gezeugt wurden, durch  das Zusammentreffen ihrer Eltern, die Staatsangehörige verfeindeter Länder waren. Was uns betrifft, so ist dies der Zweite-Weltkrieg.
Es scheint mir notwendig zu sein, sich an den Kontext der Zeit zu erinnern, als wir das Licht der Welt erblickten. Erinnern wir uns daran, dass die Schwangerschaft einer unverheirateten Frau einst eine Schande für die Familie war. Mutter und Kind befanden sich in einer schwierigen, gar dramatischen Situation, was oft zu Tragödien führte.

Vom Krieg geborene Kinder

Ein Land im Krieg schickt seine Männer weit weg von ihrer Gegend in den Krieg und so kamen Deutsche in großer Zahl nach Frankreich. Französinnen und deutsche Männer trafen sich, was zu Friedenszeiten eher unwahrscheinlich gewesen wäre. Trotz des Kontaktverbotes wurden romantische Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und französischen Frauen geknüpft. Wir sind das Ergebnis dieser unerlaubten Liebe.
Jenseits des Rheins verkehrten, trotz Verbotes, auch französische Kriegsgefangene und STO‘s (Zwangsarbeiter) mit deutschen Frauen. Auch dort waren Geburten die Folge. Nach dem Krieg 1945 / 1946 kam es zu einer noch größeren Anzahl von Geburten durch die Präsenz des Militärs in der französisch besetzten Zone.

Doppelter Fehler

So haben Frauen, d.h. unsere Mütter, egal ob französisch oder deutsch, nach der damaligen gesellschaftlichen Meinung zwei gravierende Fehler begangen : ein uneheliches Kind zu bekommen und dies sogar mit dem Feind gezeugt zu haben.
Dieses Problem betraf in der Tat, ganz Europa. Nach dem Krieg stellte man sich in jedem Land die Frage nach den Verhalten der Frauen und dem Schicksal dieser Kinder. Was die Mütter angeht, so haben Sie bestimmt alle von den geschorenen Frauen gehört, oder auch von denen, die durch die Gerichte, wegen des Verdachts der horizontalen Kollaboration, verurteilt wurden.
Was die Kinder betrifft, so wurde deren Existenz durch die Gesellschaft oder durch unsere Familien möglichst verschwiegen. Auf Grund ihrer „schändlichen“ Herkunft   und des Dilemmas ihrer Mütter, die von ihrer Familie verleugnet wurden, wurden einige unter  „X“  geboren, andere wurden verlassen. Diejenigen, die von ihrer Mutter anerkannt wurden, hatten eine sehr schwierige Kindheit.
Ihre Geburt war ein gesellschaftliches Tabu, das sehr langlebige Familiengeheimnisse hervorbrachte.  Zum Schweigen verurteilt, begannen diese Kinder erst in ihren Sechziger-Jahren  zu erkennen, dass sie  Opfer einer großen Ungerechtigkeit waren.

Das Tabu brechen

Wir ignorierten die Umstände unserer Zeugung,  wer unser Vater war, und dass wir eine deutsch-französische Abstammung hatten.  Wir störten, wir ahnten, dass es etwas sehr.Ernstes war, etwas wofür wir, wie unsere Mütter, „bezahlen“ mussten und verstanden, dass wir keine Fragen stellen sollten. Viele wurden als greifbarer Beweis dieses Fehlers sehr schlecht behandelt ohne die Ursache zu verstehen.
Nach der Veröffentlichung des Buches „ Les enfants maudits / Die Kinder der Schande“ von Jean-Paul Picaper wurde ein Treffen in Berlin organisiert. Dieses ermöglichte die Begegnung der bis dahin isolierten Kriegskindern. Somit wurde  ihnen mit über 60 Jahren bewusst, wie groß die Anzahl der Kriegskinder ist. Verachtet, weil sie vom Krieg geboren wurden, waren sie aber der tatsächliche und reelle Beweis dafür, dass die Liebe nicht verhindert werden kann. Sie konnten aus dem Schatten treten, versuchen ihre Wunden zu heilen, den Anspruch um das Wissen ihrer Herkunft einfordern und sich gegenseitig bei ihren Recherchen unterstützen.

Dieses Ziel war der Ursprung des Verein CSF, der 2005  gegründet wurde.

Die Anfänge waren schwierig, jeder war in seinen eigenen Leiden verhaftet. Nach langer Zeit in einem belastenden Familiengeheimnis gefangen, konnten sie sich plötzlich behaupten, „Stopp“  sagen, „ich will wissen“,   „ich habe genug gelitten“,  jetzt werde ich handeln.  Unsere Treffen ermöglichten es uns, ohne Angst zu sprechen, ohne Scham zu weinen, die Kraft und Ermutigung zu finden, um unsere Identität und unsere Wurzeln klar zu benennen und mit ihnen zu leben.
Ich kann Ihnen sagen, dass es außerordentlichen Mut erfordert, gegen das anzugehen was einem  jahrzehntelang eingebläut wurde. Die Schwierigkeit, dies zu tun und gleichzeitig die uns nahestehenden Menschen schonen zu wollen,  indem man mit der  Gegenwart, die Vergangenheit beschädigt, ist eigentlich nicht vernünftig.  Dennoch erlaubten wir uns, Schritt für Schritt diejenigen zu befragen, die es vielleicht wussten.
Wir mussten verstehen, dass, indem wir unsere Familie, ihre Beziehungen und das von ihnen instalierte schwerwiegende Geheimnis, anklagten,  sie wie wir Schaden nehmen  können.  Wir mussten akzeptieren, dass unser Wille wissen zu wollen, meistens schlecht aufgenommen wurde und zusätzlich zu den alten Leiden, neue hinzukamen.
Die meisten Mütter wollten nicht darüber sprechen, da unsere Fragen ihr altes Trauma weckten.  Andere Menschen, die Bescheid wussten, hatten geschworen zu schweigen und hielten daran fest. Wenn unsere Mütter einen Mann geheiratet haben der sich bereit erklärt hatte, uns großzuziehen, uns sogar als sein Kind anerkannt hatte dann wurde behauptet, er sei unser Erzeuger. Wie konnten wir dann, als er alt war, ihn mit unserem Anliegen konfrontieren?

Jede Elternrecherche ist eine lehrreiche Erfahrung

Die Erfahrungen der einen hat den anderen geholfen. Die Zeit arbeitete gegen uns. Die Zeitzeugen wurden immer älter oder sind verstorben. Aber die Zeit war auch unser Verbündeter, weil wir immer besser lernten, unsere Fragen zu formulieren, herauszufinden an wen wir uns wenden können und wo wir Dokumente und Informationen erhalten.
Wir haben uns mit den Fragen des Personenstandes, der Organisation der Archive vertraut gemacht und haben verstanden, dass es unser Recht ist, Einsicht zu erhalten.
Jede Elternrecherche ist eine lehrreiche Erfahrung, ob sie nun erfolgreich ist oder nicht. Unser Verein ist so strukturiert, dass unser Wissen und die  Erfahrungen allen zugänglich sind.

Anfangs ging es nur darum, unsere Väter zu finden mit den kargen Mitteln, die wir hatten;  zum Internet hatten wir keinen Zugang, wir hatten keinen Computer und waren auch nicht in der Lage, einen solchen zu  bedienen.  Die Archive waren für uns eine nebulöse Welt. Wir wussten nicht, wie wir unsere Anfragen formulieren sollten, ignorierten die Fristen und wurden mit Ablehnung konfrontiert, die uns empörte. So sollten wir dem Archiv oder dem Standesamt beweisen, dass die Person, die wir suchen wirklich unser Vater ist. Aber genau das herauszufinden war der Grund unserer Anfrage.
Im Laufe der Zeit begannen unsere Gesprächspartner zu verstehen, dass wir Menschen sind, die auf der Suche nach ihrer Herkunft waren. Sie verstanden, was hinter unserer Ungeschicklichkeit steckte und haben die Berechtigung unserer Fragen anerkannt. Wir haben gelernt zu diskutieren und unsere Wünsche zu formulieren. Die Archivaren,  streng  ihre Regeln im Blick, haben uns geraten, auf einem weniger direkten Weg zu suchen.

Wir entdeckten, dass es ein fruchtbarer Ansatz wäre, die Geschichte unserer Väter zu verstehen,  zu wissen, was in der Stadt vor sich ging, in der wir gezeugt wurden. Es war auch eine Möglichkeit zu verstehen, was sie erlebt hatten. Auf der Suche nach ihnen, kamen wir ihnen, ihrer Kultur und ihrem Leben in ihrem Land näher.  Wir spürten, was unsere Eltern zu bewältigen hatten und arrangierten uns nach und nach mit dem negativen Verhalten unserer Mütter.

Im Laufe der Jahre wurden wir geduldiger ohne in unseren Anliegen nachzulassen. Immer mehr Recherchen konnten erfolgreich abgeschlossen werden. Familientreffen beweisen, dass das Suchen keine Utopie ist.

Deutschland hat Kinder, die während der der Besatzungszeit geboren wurden, anerkannt

Deutschland hat die von der Wehrmacht, in der Besatzungszeit geborenen französischen Kinder  als Deutsche anerkannt. Daniel Roussel, Gründungsmitglied von CSF erhielt als erster die deutsche Staatsbürgerschaft.
Die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft des Vaters zu erlangen, brachte den französischen Kindern Erleichterung. Sie, die im Mutterland abgelehnt worden waren, wurden vom Vaterland voll akzeptiert. Einen deutschen Pass zu bekommen, nahm ihnen den Eindruck,        dass sie geteilte Wurzeln haben. Wir können Deutschland nicht genug für diese Anerkennung  danken.

Leider hat Frankreich den deutschen Kriegskindern von französischen Vätern diese Möglichkeit nicht gewährt. Wir französischen Kinder leiden unter der Ungerechtigkeit gegenüber unseren deutschen Landsleuten.

Die Zeit vergeht, unsere Väter sind verstorben, wir finden ihre Gräber, ihre Kinder, manchmal ihre Freunde. Wir wurden mit dem Computer vertraut und haben eine zweisprachige Web-Seite die unser Anliegen effektiv verbreitet. Sie können sie unter https://coeurssansfrontieres.fr.com  besuchen.

Die Suche nach dem Vater gibt es noch immer, aber manchmal auch die nach der Mutter.

In den letzten Jahren haben sich die Erwartungen der CSF-Mitglieder, den 2.Weltkrieg immer noch im Blick, aber ausgeweitet.

Die Suche nach dem Vater gibt es noch immer, aber manchmal auch die nach der Mutter.
Einige Menschen haben erfahren, dass ihr Vater Kriegsgefangener, Besatzungssoldat, oder Zwangsarbeiter war, der ein Kind zeugte, das von ihm nicht anerkannt wurde und im Land seiner Mutter verblieben ist. Schlimmer noch, von der Familie verstoßen wurde. So wurde das Geheimnis mütterlicherseits, das unsere Familien uns auferlegten, auch den Kindern unserer Väter auferlegt.  Da die Geheimnisse wiederum ein heimtückisches Gift sind, leiden auch diese Menschen und möchten die Folgen der Zurückweisung ihrer unbekannten Schwester oder Bruders wieder gutmachen.

In Deutschland geborene Kinder deutscher Mütter und vermeintlich französischer Väter, wurden identifiziert und zur Adoption nach Frankreich gebracht. Infolgedessen verloren sie ihre Staatsangehörigkeit , ihren Namen und Vornamen und alle genetischen Bindungen.
Eine Volkszählung wurde 1946 von den französischen Behörden in Deutschland durchgeführt, um die mutmaßlichen Kinder französischer Väter zu identifizieren und den Müttern eine Adoption in Frankreich anzubieten. Anfangs haben die Mütter mit den französischen Behörden gesprochen, in der Hoffnung,  Erziehungshilfe für ihr Kind zu bekommen, das in Kindergärten oder bei den Großeltern mütterlicherseits untergebracht war.
Sehr bald wurden die Angebote der Adoptionen in Frankreich bekannt und die deutschen Mütter verweigerten, aus Angst vor der Trennung von ihren Babys,  Auskünfte für die Volkszählung.

Auch diese Adoptionen wurden zu Familiengeheimnissen. Die meisten Betroffenen entdeckten erst sehr spät, dass sie adoptiert wurden und noch später, dass sie in Deutschland geboren wurden. Einige dieser Kinder wurden nicht adoptiert, sie wurden ohne Erklärung von Pflegefamilien zu Pflegefamilien weitergereicht. Deutsche Mütter,  wie die Mütter in Frankreich, haben geheiratet, um ihrem Kind eine Familie zu geben und das Risiko zu vermeiden, dass ihre Kinder nach Frankreich verbracht wurden.

Die Akten der identifizierten und nach Frankreich verbrachten Kinder werden im Archiv für Diplomatie in La Courneuve archiviert.
Diese in Deutschland geborenen und nach Frankreich verbrachten Kinder mussten auf das noch junge Gesetz warten, das es  Waisenkindern ermöglicht, ihre Akte beim Jugendamt einzusehen.  Oft sind diese Akten nicht auffindbar oder quasi leer.

Die Nachkommen der Kriegskinder haben die Last der Geheimnisse geerbt. Auch sie kommen wiederum zu uns, mit dem Bedürfnis, Recherchen zu betreiben, die ihre Eltern nicht durchführen konnten. Die psychischen Folgen von Familiengeheimnissen sind mittlerweile bekannt. Der Ansatz der nächsten Generation zielt darauf ab, ihr Unbehagen zu mindern, aber noch mehr um zu vermeiden, dass das Gift der Geheimnisse ihre eigenen Kinder erreicht.

Das Lüften eines Geheimnisses befreit alle, die die es ertragen, egal, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht.

Wir haben in unserem Unglück Glück gehabt

Ich denke, dass wir in unserem Unglück Glück hatten, denn wir sind die erste Generation,  die aus einem  Krieg hervorgegangen ist und öffentlich darüber sprechen kann. Jedes Individuum  hat das Recht, seine Wurzeln zu suchen und dafür zu sorgen, dass dies akzeptiert und anerkannt wird. Was konnten Kinder aus dem Ersten Weltkrieg tun?  Ich kenne welche, die alt wurden und sehr gerne ihre väterliche Familie gefunden hätten.  Doch aufgrund der geringen, vorhandenen Informationen, kaum öffentlich zugänglicher Archive, fehlender Computer und dem Verschwinden der Zeitgenossen ihrer Eltern, war ihre Suche vergeblich.

Jetzt, in unserem Alter, machen wir weiter. Jeden Monat werden wir kontaktiert.  Wir freuen uns über neue Mitglieder. Jedoch geben einige von uns  angesichts des Scheiterns ihrer Recherche auf und verlassen den Verein. Sie denken, sie haben ein Maximum getan, bei uns ein wenig Ruhe und Gelassenheit gefunden und sich der Kultur ihres Vaters angenähert. Sie wollen leben, die Zeit die ihnen bleibt, in relativer Ruhe genießen. Etliche verlassen uns, die ihre Familie gefunden haben oder die, die Umstände ihrer Geburt kennenlernen konnten. Jedoch eines Tages den Wunsch haben, nicht mehr inmitten von Kriegskindern zu sein.

Es gibt wiederum ältere Mitglieder von CSF / HOG die dem Verein treu bleiben.  Sie sehen, dass sich andere Kriegskinder uns erst jetzt anschließen, um ihre Wurzeln zu finden.  Da sie es selbst erlebten, wissen diese Ehrenamtlichen, wie wichtig  ihr offenes Ohr und ihre Unterstützung den Neuen helfen können. Dafür danken wir ihnen.

Ich habe Ihnen die Gründung des Vereins erklärt und seine Entwicklung, Ich habe die Gegenwart erwähnt, aber wie wird die Zukunft aussehen ?

Unsere Entwicklung im Laufe der Jahre beweist, dass unsere einzigartige Geschichte tatsächlich Teil der Gegenwart und der Zukunft ist.  Wir wünschen uns, dass unsere Erfahrung denen nützlich ist, die aus Kriegen nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgingen und  auch jenen, die aus zukünftigen Kriegen geboren werden.

Wir hoffen, dass jüngere Leute übernehmen. Wir warten sehr auf sie, denn es gibt noch viel zu tun.

Chantal Le Qentrec

Saint Brieuc, Oktober 2021

Die Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG) und ihr französisches Pendant, La Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l’Europe (FAFA), sind überparteiliche und konfessionslose Organisationen. Sie setzen sich für die Annäherung der beiden Gesellschaften auf kulturellem, wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet ein. Sie sind die Fortsetzung und die ursprüngliche Basis eines europäischen politischen Willens. Ohne sie wäre die europäische politische Annäherung wahrscheinlich nicht so schnell in Gang gekommen.

Um sie besser kennen zu lernen, klicken Sie auf das obige Logo.

La Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l’Europe (FAFA), avec son homologue allemand, la Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG), sont des organisations non partisanes et non confessionnelles.  Elles œuvrent à rapprocher les deux sociétés dans les secteurs culturel, économique, social et politique. Elles sont le prolongement et la base originelle d’une volonté politique européenne. Sans elles les rapprochements politiques européennes n’auraient probablement pas été initiés si rapidement .
Pour mieux les connaître, cliquer sur le logo ci-dessus.