Im Zentrum: Herr Daydé
Cyril Daydé, paläographischer Archivar (Diplom der Hochschule zur Ausbildung von Archivaren) und Konservator des Erbguts (Diplom des Nationalinstituts für Erbgut); Lehrender in Geschichte an der Sozialwissenschaftlichen Hochschule.
Im Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten, in La Courneuve, tätig: u.a. im Archiv der französischen Besatzungszone.
Inhalt des Vortrages
1.Geschichte der französischen Besatzungszone (Gründung, Organisation, Führung)
2.Praktische Erläuterungen über die genealogischen Recherchen im Archiv der französischen Besatzungszone – gemäß Sachverständigen und Aussagen von Amateurgenealogen.
I – Die französische Besatzungszone und ihr Archiv
Die Besatzungszone: ein bereits erprobtes System
Durch den Versailler Vertrag war die Besatzung durch Truppen der Entente (französische, britische, amerikanische und belgische Truppen) im Rheinland und in der Ruhr ab Januar 1920 und für eine Dauer von 5 Jahren vorgesehen.
Dabei erhielten die Franzosen das größte Gebiet, die Direktion der Alliierten Hohen Kommission im Rheinlandgebiet (HCITR) sowie den Vorsitz der Regierungskommission des Saarlandes für eine Dauer von 15 Jahren.
Die Verwaltung von Deutschland und Österreich durch die Alliierten (1945 – 1955)
Frankreich war besiegt und, lt. Wortlaut des Waffenstillstandes von Juni 1940, kollaborierendes Land. Bis 1944 war es demnach unvorstellbar, dass Frankreich zu den Siegern des Zweiten Weltkrieges zählen könnte. Bei der Yalta-Konferenz (Februar 1945) und auf Beharren v. General De Gaulle änderten die alliierten Machthaber (Großbritannien, USA und UdSSR) ihre Position und ließen Frankreich an den Verhandlungen teilnehmen. Der Waffenstillstand wurde am 8. Mai 1945 unterzeichnet. Im nächsten Monat begann die Besatzung. Die deutschen und österreichischen Gebiete wurden wirtschaftlich und administrativ einem Alliierten Kontrollrat unterstellt. Dieser Kontrollrat, bestehend aus den Kommandeuren jeder Besatzungszone, hatte seinen Sitz in Berlin, in den Gebäuden des Neuen Kammergerichts, Nachfolger des Volksgerichtshofs, des höchsten Justizorgans des Naziregimes. Als erste Maßnahme wurde das Nazirecht außer Kraft gesetzt. Am 28. März 1948 zeigten die sowjetischen Vertreter ihre Missbilligung, indem sie den Rat verließen.
Die drei übrigen Länder (USA, Großbritannien und Frankreich) bildeten ab dem 21. September 1949 die Hohe Alliierte Kommission, nicht mehr aus militärischen Gouverneurs sondern aus hohen Zivilkommissaren. Diese Kommission hatte ihren Sitz im Hotel Petersberg, bei Bonn, und die Aufgabe, die Entwicklung der ehemaligen Dreierzone (genannt Bundesrepublik Deutschland) in militärischen, wirtschaftlichen und außenpolitischen Angelegenheiten zu reglementieren. Sie beendete ihre Funktionen am 5. Mai 1955, gemäß dem Wortlaut der am 23. Oktober 1954 durch Briefwechsel getroffenen Vereinbarung.
Jede Besatzungszone war einem Hohen Kommissaren anvertraut. Die Hierarchie der unter französischer Aufsicht gestellten administrativen Gebieten war folgende: 5 Länder, bestehend aus 17 Distrikten. Diese Gebiete waren in zwei Einheiten unterteilt:
– das Hohe Kommissariat der französischen Republik in Deutschland (HCRFA, in Baden-Baden), bestehend aus dem aktuellen Land Rheinland-Pfalz, aus den ehemaligen Ländern Württemberg-Hohenzollern und Baden (heute Baden-Württemberg) , aus dem Distrikt Lindau (Bayern) und den Westberliner-Bezirken Reinickendorf und Wedding,
– das Hohe Kommissariat der französischen Republik in Österreich (in Innsbruck), bestehend aus den Ländern Vorarlberg und Tirol sowie den 6., 14., 15. Und 16. Wiener-Bezirken.
Der besondere Fall: Saarland (1947-1957)
Ursprünglich in der französischen Zone situiert und als 6. Land zählend wurde das Saarland am 15. Dezember 1947 als unabhängiger Staat, unter französischer Schutzherrschaft, gegründet. Saarbrücken wurde seine Hauptstadt. Das Saarland wurde am 1. Januar 1957 mit dem Statut eines Landes in die Bundesrepublik wieder eingegliedert (nach dem Referendum v. Oktober 1955).
Das Archiv der französischen Besatzungszone
Dieses Archiv besteht aus drei Teilen:
– das Archiv der Dreimächte, darunter Frankreich: Kontrollgruppen für Stahl, Kohle und IG Farben
– das administrative Archiv der Hohen Kommissariaten in Deutschland und Österreich
– Verschiedene Dokumentensammlungen: ikonographische Unterlagen, Plakate, geographische Dokumente, Gegenstände).
Ein erster Auftrag wurde 1951 in Deutschland ins Leben gerufen, um das Ende der Besatzung und die Rückführung der Dokumentation der französischen Besatzungszone auf nationalen Boden vorzubereiten. Eine ähnliche Arbeit wurde im darauffolgenden Jahr in Österreich durchgeführt. Durch seine geographische Lage wurde die Stadt Colmar auserwählt, um das im Juli 1952 gegründete Archivbüro der französischen Besatzung in Deutschland und Österreich zu beherbergen. Im Jahre 1976 wurde dieses Büro dem Außenministerium unterstellt. 1979 wurde das Archiv der Hohen Alliierten Kommission von Metz nach Colmar verlegt. Schließlich, im Jahre 1993, wurden sowohl die Französische Militärregierung in Berlin (GMFB) als auch die Interalliierte Kommandantura (KI), die bis zur Wiedervereinigung Deutschlands bestanden hatten, von Berlin nach Colmar verlegt.
Im Jahre 2009 wurden diplomatische Archive aus verschiedenen Pariser Dépôts zu einer zentralen und für den Leser öffentlichen Stelle, nach La Courneuve, gebracht. Die Unterlagen aus Colmar folgten im nächsten Jahr und sind seit Juli 2010 in drei Dépôts verteilt. Das Archiv über die französische Besatzung in Deutschland und Österreich, für den Zeitraum 1945-1955, besteht zur Zeit aus über 6,1 km Unterlagen.
II. Das Archiv der französischen Besatzungszone und die genealogischen Recherchen: Perspektive und Hürden
Französische Präsenz
Die Präsenz einer zivilen und militärischen Administration in Deutschland und Österreich hat natürlich den provisorischen Einzug von Einzelnen und von ganzen Familien nach sich gezogen. Allein in Baden-Baden ist die Zahl von 35.000 Einwohnern bei Kriegsende auf 50.000 gestiegen. Die französische Gemeinschaft wird dabei auf 5.000 geschätzt. Im Ganzen konnte die französische Präsenz auf bis zu 100.000 Personen im gesamten Gebiet, je nach Zeitraum, erreichen.
So wie in Frankreich eine Genealogie der Kinder, die während des Krieges von deutschen oder österreichischen Vätern geboren sind, existiert, so gibt es auch in Deutschland und Österreich Kinder, die während der alliierten Besatzung von französischen, britischen, amerikanischen oder sowjetischen Vätern geboren sind.
Personalakten, Unterlagen über französische Kriegsgefangene, Dokumente über Deportationen sowie Gerichtsunterlagen können am besten solchen genealogischen Recherchen dienen.
Zu den zuvor erwähnten Institutionen kommen noch mehrere internationale Instanzen:
– die Administration der Vereinten Nationen zur Hilfe und zum Wiederaufbau (UNRAA) zwischen 1945 und 1947,
– die Verbindungsdienststelle (SL) für die Beziehungen zwischen den französischen Beauftragten und ihren britischen und amerikanischen Gleichgestellten
– der Internationale Suchdienst (SIR), seit 1946 in Bad Arolsen (Hessen), unter der Obhut des Roten Kreuzes.
Die Archive dieser Institutionen vervollständigen die Archive der französischen Besatzungszone, in der eine besondere Serie „Vertriebene Personen“ (PDR) den Bevölkerungen gewidmet ist, die ihre Wurzeln verloren haben. Im Service Historique de la Défense (SHD) in Vincennes und im Bureau des Archives des victimes des conflits contemporains (BAVCC) in Caen werden ebenfalls umfangreiche Archive aufbewahrt.
Neben zahlreichen namentlichen Akten beinhaltet dieses Archiv auch Dokumente über die allgemeine Verwaltung und eine umfangreiche administrative Korrespondenz mit Anlagen sowie weitere Dokumente, z.B. Telefonbücher, Organisationspläne.
Jede Archivserie beinhaltet ein mehr oder weniger detailliertes Verzeichnis. Es existiert jedoch keine Datenbank mit den Namen aller betroffenen Personen.
Es existieren auch keine Suchmaschine und kein Internetportal, die diese Namen im Ganzen erfassen.
Es ist außerdem utopisch zu glauben, dass das ganze Archiv eines Tages numerisiert und im Internet zur Verfügung stehen wird: diese Operation ist technisch unmöglich und wissenschaftlich nutzlos.
Die genealogische Recherche, zwischen Identitätssuche und Datenschutz
Die erste Hürde ist das sprachliche Problem, vor allem wenn die Erinnerungen der Mütter ungenau sind. Es ist praktisch unmöglich, eine ausländische Person, deren Name nicht mit Genauigkeit bekannt ist, zu identifizieren.
Die zweite Hürde ist oft die Distanz. Wenn eine Person Einblick in eine Akte wünscht, werden ihr meistens schwarz-weiße Fotokopien zugesandt (bei anfallender Gebühr lt. Gesetz, Artikel L213-8, Code Erbgut).
Eine Fotokopie kann aber unmöglich zugesandt werden, wenn das gewünschte Dokument nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann.
Dies führt zu einer dritten Hürde: die Durchführung der Recherche.
Die Rolle des Archivars ist, den Suchenden durch das Archiv zu führen, jedoch nicht an seiner Stelle zu suchen. Jede Recherche ist demnach ein Dialog zwischen demjenigen, der weiß, was er sucht, und dem anderen, der weiß, wo die gewünschte Information mit großer Wahrscheinlichkeit zu finden ist. Eine ungenaue Anfrage hat wenig Chancen, Erfolg zu haben. Je genauer und zahlreicher die Angaben sind, desto leichter wird es für den Archivar, dem Suchenden die richtige Spur zu zeigen.
Auch eine gut vorbereitete Suche ist keine Garantie für den Erfolg der Ermittlungen. Voraussetzung ist, dass eine Akte angelegt wurde und dass diese Akte nicht vernichtet oder verloren wurde.
Die vierte Hürde ist der Datenschutz. Die Dokumente über die französische Besatzung unterliegen dem Code du Patrimoine (Erbgut-Code, Art. L213-2). De facto kann ein administratives Dokument sofort eingesehen werden, außer wenn es folgendem gesetzlichem Schutz unterliegt:
– ärztliche Schweigepflicht (25 Jahre ab Todesdatum des Betroffenen bzw.120 Jahre ab seinem Geburtsdatum)
– Schweigepflicht der Landesverteidigung oder Führung der Außenpolitik (50 Jahre)
– Schutz des privaten Lebens (50 Jahre)
– Dokumente über den Werturteil einer namentlich angeführten oder leicht zu identifizierenden Person (50 Jahre)
– Ermittlungen der Kriminalpolizei (75 Jahre); bei Minderjährigen (100 Jahre)
– (75 Jahre); bei Minderjährigen (100 Jahre)
– Standesamtliche Geburts und Heiratsregister (75 Jahre).
Die von diesen Ausnahmen betroffenen Akten sind zahlreich im Archiv über die französische Besatzungszone. Sie sind sogar überwiegend bei den genealogischen Recherchen. De facto können Auskünfte, die eine noch lebende Person oder einen seiner Familienangehörigen betreffen, ausnahmsweise erteilt werden bei Vorlage eines gültigen Identitätsnachweises (Ausweis, Reisepass) oder jedes weiteren Dokumenten, der eine Familienzugehörigkeit nachweist.
Die 5. und letzte Hürde, die viele Amateurgenealogen treffen, ist ganz einfach das Aufgeben. Eine Recherche, sollte sie zu einem Erfolg führen, darf nicht bei den ersten auftretenden Schwierigkeiten aufgegeben werden. Bei diesem Projekt geht es um die Suche nach der wahren Identität: es hat nur Sinn, wenn es bis zum Schluss geführt wird und es ist nie vorteilhaft, diese Recherchen einem Dritten, z.B. einem professionellen Genealogen, zu überlassen. Für manche kann der Weg selbst wichtiger als das Ergebnis sein.
Dieses Ergebnis ist manchmal das größte Problem, z. B. wenn der gesuchte Ahne die Erwartungen enttäuscht. Sich in eine persönliche genealogische Recherche zu begeben bedeutet vor allem, sie bis zum Ende zu führen und jegliche Antworten, die sie mit sich bringt, zu akzeptieren. Die Vermittlung eines Übersetzers oder sogar eines Sozialarbeiters ist von Fall zu Fall notwendig, um diese spät entdeckte Realität zu akzeptieren.
Anlagen
Praktische Informationen
Das Centre des Archives diplomatiques von La Courneuve ist v. Montag bis Freitag, von 10.00 bis 17.00 Uhr geöffnet.
Anfragen können per e-mail an folgende Adresse gerichtet werden:
Lecture.archives@diplomatie.gouv.fr oder per Telefon: 00 33 1 43 17 70 30.
Kurze Hinweise zu Bibliographien:
DENÉCHÈRE Yves. Des enfants venus de loin. Histoire de l’adoption internationale en France (Kinder von weit her. Geschichte der internationalen Adoption in Frankreich). Armand Colin, 2011, 320 Seiten.
MÜLLER Friedrich, Müllers grosses deutsches Ortsbuch. Vollständiges Gemeindelexikon. Über 125.000 Orte, Wuppertal-Barmen: Fritz Müller, 1961, VI-1206 pages (dictionnaire des toponymes)
WIAZEMSKY Anne, Mon enfant de Berlin, Paris: Gallimard, 2011, 259 pages (collection Folio, 5197) (Mein Kind aus Berlin, 259 Seiten, Kollektion Folio, 5197)..
Geographische Informationen
Die Besatzungszonen in Deutschland und Österreich im Jahre 1945 (siehe Karte auf folgender Seite)