Der schweizer Journalist Jean-Noel Cuénod hat ein Interview mit Chantal in „La Tribune de Genève“ und in „Les 24 heures de Lausanne“ veröffentlicht. -Lesen Sie hier das in „Les 24 heures de Lausanne“ erschienene Interview-

Fünfziger Geburtstag des Elysée Vertrags.

Die französischen Kinder der deutschen Soldaten und das «Gift des Geheimnisses»

Kriegskind

Der 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages zwischen den beiden Ländern wurde gestern groß gefeiert. Hier der Bericht von Chantal, Tochter eines Unteroffiziers der Luftwaffe.

Jean-Noël Cuénod Paris

Am 22 Januar 1963 haben Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer den Elysée-Vertrag unterzeichnet, das Abkommen , welches die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland besiegelte. Gestern wurde dieser Geburtstag in Berlin gefeiert.

Für Chantal Le Quentrec ist dieser Tag sehr bedeutungsvoll und erzeugt ganz spezielle Emotionen. Sie ist Sekretärin und Abgeordnete des Vereins „HERZEN OHNE GRENZEN „ und ist Teil der 200 000 Personen, die in Frankreich während der Besatzung geboren wurden, aus einer Liebe zwischen deutschen Soldaten und jungen Französinnen. Mit „24heures“ spricht sie über ihren langen Kampf „das Gift des Geheimnisses“ zu beseitigen.

Paris wurde gerade von der Nazi-Besatzung befreit, als Chantal das Licht der Welt erblickte, am 29 August 1944. Ihre Mutter, eine junge Bäuerin von 23 Jahren hatte , ihre Heimat, die Normandie, verlassen um in der beschützenden Anonymität der Großstadt zu gebähren. Toni war die erste Liebe dieser jungen Frau. Der Unteroffizier der Luftwaffe wurde auf einem normannischen Bauernhof einquartiert, wo die zukünftige Mutter von Chantal, jung und hübsch, als Magd arbeitete. Es kam wie es kommen musste; die kleine Normannin wurde schwanger und Toni verliess Frankreich.

Eine schmerzliche Frage

„Als ich mit fünfeinhalb Jahren meine Pflegemutter verliess, erfuhr ich zu meiner großen Überraschung, dass ich einen Vater habe. Die Tatsache, dass es Papas gab, war mir bis dahin nicht bewusst. Meine Mutter hat eine große Geschichte konstruiert über den Mann , der ihr Ehemann werden sollte, um mich davon zu überzeugen, dasss er mein Vater sei. Übrigens hat er sich seinerseits als solcher benommen und mir Zuwendung und Zärtlichkeit entgegengebracht.

Aber wie soll ich das erklären? Ich wusste trotz allem, dass er nicht mein Vater war. Gewiss ich liebte ihn sehr und dennoch konnte ich mich nicht von der Überzeugung frei machen, dass mein Vater jemand anderer war. Aber wer? Diese Frage verfolgte meine ganze Kindheit.“

Mit neun Jahren erfährt Chantal in der Schule von der Besatzung der Normandie durch die deutschen Truppen. „Auf dem Weg von der Schule nach Hause habe ich den Zusammenhang erkannt. Kein Zweifel, ich war die Tochter eines Militärangehörigen der feindlichen Armee. Und da die Deutschen damals sehr verhasst waren, sagte ich mir, ich müsste das Kind eines Österreichers sein. Das empfand ich als weniger schlimm. Auf Anhieb habe ich diese Entdeckung meiner Mutter kundgetan, die mich nach einer gehörigen Züchtigung ins Bett verfrachtete. Ich hatte ins Schwarze getroffen! Besonders, weil mein Pflegevater mich getröstet hat. Ich stellte mir vor, dass mein richtiger Vater, genauso wütend wäre wie meine Mutter.

Danach fing für mich ein Doppelleben an. Mein offizielles Leben, indem ich so tat als ob ich glaubte, was mir meine Eltern sagten; in meinem Innersten wusste ich jedoch, dass alles falsch war. Ein Familiengeheimnis ist wie ein Gift. Es nagt und nagt an einem. Im Laufe der Generationen wird das Wesentliche dieses Giftes vergessen, aber ein Unbehagen bleibt.“

Die Wahrheit scheibchenweise

Chantal erfährt die Wahrheit Stück für Stück. „Als Kind war ich sehr oft krank und ich bin davon überzeugt, dass dieses Geheimnis meine Gesundheit belastet hat. Mit 17 – 18 Jahren hat meine Mutter wegen meiner Hartnäckigkeit nachgegeben und mir gestanden, dass mein richtiger Vater ein österreichischer Unteroffizier der deutschen Wehrmacht war. Sie verlangte aber von mir das Versprechen, niemals mit meinem Pflegevater darüber zu sprechen. Also habe ich mein Leben mit dieser Lüge weitergeführt, sogar noch mit meinen Kindern.

Viel später hat mir meine Mutter das Foto meines biologischen Vaters gegeben. Toni, dessen Nachname –Rauter- sie sich nicht sicher war. Erst im Alter von 60 Jahren, als meine Mutter und mein Pflegevater krank wurden, habe ich einiges unternommen und mich an die WaSt, das deutsche Militärarchiv, gewandt. Meine Suche konnte ihnen keinen Kummer mehr bereiten. Leider ist meine Suche erfolglos geblieben. Toni bleibt der junge Mann in Uniform , ohne mehr über ihn zu wissen. Aber allein die Tatsache, mich auf die Suche gemacht zu haben, hat mich versöhnt.“

„Ein Familiengeheimnis ist ein Gift. Es nagt und nagt auch an den Nachkommen. Im Laufe der Generationen wird das Wesentliche dieses Giftes vergessen, aber ein Unbehagen bleibt.“

 

Chantal Le Quentrec