Mein Vater ließ uns einen Durchschlag des Vermerks sehen, den er an die deutschen Behörden richtete und zwar einige Monate nach meiner Geburt. Er wollte damit auf die immer zahlreicher werdende Kritik eingehen, die Gegenstand gerade innerhalb der Wehrmacht war.Es ist ein Dokument, das die Schwierigkeiten illustriert, die sowohl von der deutschen als auch französischen Seite bestanden und die Situation betrafen, dass sich zwei Menschen begegnet sind, deren Fehler allein darin bestand, sich während dieser Periode und absoluten Tragödie, eben dem 2. Weltkrieg zu lieben.

Antwort von Walter. B. Francé, Obersoldat, an seiner Militärhierarchie

Den 26.5.1943

Gegen mich wurde heute der Vorwurf erhoben, als deutscher Wehrmacht – angehöriger in außerdienstlicher Hinsicht keine einwandfreie Haltung gezeigt zu haben.

1. Insbesondere sollte ich zu rege Beziehungen zu der frz. Zivilbevölkerung haben.

2. Solle ich mich haben hinreißen lassen, in einer frz. Familie über dienstliche Dinge zu sprechen.

3. Solle ich ein schlechter Kamerad sein, der sich lieber mit den Franzosen unterhalte als mit seinesgleichen.

Zu meiner Verteidigung habe ich folgendes anzuführen:

Zu 1.

Da ich täglich meine Unterschrift unter zahlreiche Quartierzettel setzen muss und mein frz. Klingender Name den Franzosen naturgemäß leicht im Gedächtnis haften bleibt und da ich fast den gesamten anfallenden frz. Telephonverkehr betreffend Quartierleistungen zu erledigen habe, bin ich selbstverständlich einer Reihe von Geschäftsleuten und Präfekturbeamten persönlich bekannt.

Jedoch habe ich mit Absicht davon Abstand genommen, mich von Franzosen in die Wohnung einladen zu lassen, obwohl es mich wirklich vom Standpunkt meines Schriftleiterberufs aus interessiert hätte.

Das einzige frz. Haus, in dem ich verkehre, ist das des Prof. Fauconnet, des Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Poitiers. Hier bin ich allerdings in enge Beziehung zu dessen Tochter Magdeleine F. gekommen und der Vater eines Jungen geworden.

Um zu erklären, wie es hierzu kam, muss ich etwas weiter ausholen:

Mein Vater, Dr. R. H. Francé, ist naturwissenschaftlicher Schriftsteller. Biographische Auskunft geben die Lexika von Meyer, Brockhaus oder Herder. Mein Vater war lange Jahre Mitglied der „Schopenhauer-Gesellschaft“, einer bekannten philosophischen Vereinigung.

Ich selbst bin im Zivilleben Schriftleiter/RDP und bin seit langen Jahren als ständiger Mitarbeiter bei den Münchner Neuesten Nachrichten und den angeschlossenen Blättern Tätig gewesen. Ich schreibe Aufsätze über naturwissenschaftliche und technische Themen. Ferner bin ich noch Bildberichterstatter. Meinen Beruf habe ich in München und in Berlin ausgeübt.

Durch meinen Vater wusste ich zufällig von einem Prof. F., der in Poitiers lebt und der sich seit langem in der wissenschaftlichen Leitung der erwähnten Schopenhauer-Gesellschaft befindet. Ferner ist der zeitige Vorsitzende dieser Vereinigung Dr. Arthur Hübscher, der als Kulturschriftleiter an den Münchner Neuesten Nachrichten wirkt.

Als ich nun nach meiner Abstellung vom Ersatztruppenteil zum Feldheer erfuhr, dass ich nach Poitiers kommen werde, strebte ich naturgemäß an, Prof. F. persönlich kennen zu lernen. Ich kam ja erst lange nach dem Waffenstillstand – ich bin Jahrgang 1901 – nach Frankreich. Die Besuche in diesem Hause waren infolge der geschilderten Umstände für mich von Anfang an anregend, wozu noch hinzu kam, dass ich damals noch nicht französisch sprechen konnte, während Prof. F. als Germanist die deutsche Sprache fließend beherrscht. Auch seine Tochter ist der deutschen Sprache weitgehend mächtig, da sie in ihrer Kindheit nicht Englisch, sondern Deutsch als Fremdsprache durch einen Hauslehrer erlernte.

Dass ich einmal meine Beziehungen zu Frl. Magdeleine F. so vertiefen sollten, dass ich Vater eines strammen blonden und blauäugigen Jungen mit Namen Peter Bernhardt wurde, wusste ich damals noch nicht. Aus der Tatsache als Besatzungssoldat Vater geworden zu sein, habe ich verständigen Kameraden gegenüber nie ein Hehl gemacht. Im Kreise guter Kameraden ist es genau bekannt, dass ich nicht Freund irgendwelcher Abendteuer mit einer „femme de menage“ bin, sondern dass sich hier eine Frau normannischer Abstammung darauf vorbereitet, mir nach dem Kriege nach Berlin zu folgen.

Es müsse kulturelle Brücken zwischen den Beteiligten bestehen. Prof. André Fauconnet hat Studiensemester in Deutschland verbracht (in Kiel und Hamburg) und kennt das ganze Reichsgebiet aus vielen Ferienreisen. Noch kurz vor Ausbruch des jetzigen Krieges war er mit seiner Tochter zur Neusprachler Tagung des NS-Lehrerbundes in Frankfurt a. M. eingeladen. Einige Jahre vorher war seine Tochter Hörerin an der Berliner Universität.

Zu 2.

Zu dem Vorwurf, in fahrlässigerweise über dienstliche Dinge gesprochen zu haben, habe ich zweierlei zu erwidern:

1.) Habe ich als Schriftleiter schon lange vor dem Kriege immer wieder mit geheimzuhaltenden Dingen (dies bezog sich immer auf gewisse Bauarbeiten) zu tun gehabt. Ganz besonders galt dies für mich als Bildberichter. Und ich habe niemals Anstände gehabt; ich weiß hier sehr genau zu unterscheiden.

2.) Die Dinge, mit denen ich jetzt zu tun habe, nämlich Anfertigung von Inventarverzeichnissen für Privatquartiere, Uebernahme und Uebergabe von Privatquartieren, Ausstellung von Quartierabrechnungszettel für die Franzosen, Verhandlungen mit Reparaturhandwerkern, sowie die Verteilung von Hotelzimmern liegen schließlich auf einer wesentlich niedrigeren Ebene und sind für mich wahrlich nicht so geistig anregend, dass sie mich in den kurzen Stunden nach Dienstschluss auch nur einen einzigen Augenblick beschäftigen würden. Ich versichere in feierlicher Form: Ich bin mir nicht bewusst jemals gegenüber frz. Zivilisten über dienstliche Vorgänge gleich welcher Art gesprochen zu haben. Das jahrelange Stillliegen der Berufstätigkeit erfordert (für mich wenigstens!) die restlose Ausnützung jeder freien Minute. Berufsfortbildung heißt für mich: Zeitungsstudium, Pressebildanalyse im zeitungs -wissenschaftlichen Sinne (zusammen mit meiner künftigen Frau, die mir dabei eines Tages in Berlin helfen soll), fototechnische Fortbildung und nicht zuletzt wirtschaftsgeographisches Studium meiner jeweiligen Umwelt.

Zu 3.

Weil ich an meinen Zukunft denken und infolgedessen jede karge freie Minute ausnützen muss, bin ich allerdings nur sehr selten in der Kantine zu finden. Hinzu kommt, dass ich nie einen Tropf Alkohol trinke und auch Fast gar nicht rauche. Zu der Frage, ob ich ein schlechter Kamerad sei, kann ich nur sagen, dass ich bis jetzt – glaube ich- schon jedem in unserer Einheit eine kleine Gefälligkeit habe erweisen können, sei es durch Fotos, durch Einkaufshilfe, durch Uebersetzen, durch Aufsetzen komplizierter Briefe und durch Besorgung mancher Mangelware. Ich glaube von mir. Behaupten zu können, dass ich in der Einheit wohl keinen Feind habe, und wenn es einmal eine kleine Reiberei gab, so habe ich stets den Ausgleich gesucht.

Zusatz:

Betrifft Prof. F. : Nachstehend noch ein Vorfall, der vielleicht bezeichnend ist für das stets auf Ausgleich gerichtete Verhalten des Prof. F. Kurz vor dem Ende des Westfeldzuges, am 21. Juni 1940, war die Stadt Poitiers zur offenen Stadt erklärt worden. Am 23. Juni, 5 Uhr 45 morgens, wird F. durch Nachbarn geweckt, die ihm aufgeregt mitteilen, dass frz. Truppen dabei seien, eine Sperre zu errichten und mehrere Panzerwagen, Pak’s und MG’s in Stellung zu bringen. F. rast sofort im Auto, das seine Tochter steuert, zum Universitätsrektor, lässt ihn wecken und sorgt mit ihm zusammen bei Präfekten und Standortkommandanten (Commandant de la place, Rue Jean Jaurès, Capitaine RIVAUD) dafür, dass Gegenbefehl erteilt wird, die Stellung sofort wieder abzubauen. Um 7 Uhr morgens wird dann der Stützpunkt wieder aufgegeben und die frz. Truppen ziehen sich auf das flache Land zurück. Einige Minuten darauf kommen die ersten deutschen Krad-Streifen an, um das Gelände zu erkunden. Nutzloses Blutvergießen ist vermieden. Die Zivilbevölkerung atmet befreit auf und bedankt sich bei dem, der durch sein schnelles Eingreifen ein großes Unheil abgewendet hat. Prof. F. gehörte ja nicht zu denen, die sich der sinnlosen Massenflucht vor den deutschen Truppen angeschlossen hatten. F. hat Poitiers nie verlassen.

Obersoldat

Dienststelle Fp.Nr. 16 834 G

2. Zusatz:

Die letzte Arbeit, die Prof. F. für die Schopenhauer-Gesellschaft veröffentlicht hat, ist im 30. Jahrbuch für das Jahr 1943 erschienen, das am 22. Febr. 1943 herausgekommen ist. Es handelt sich hierbei um Beziehungen zwischen der Oper „Norma“ von Bellini, Richard Wagner und Schopenhauer.

3. Zusatz :

Es ist über mich angegeben worden, dass ich vor dem Kriege weite Auslandsreisen gemacht hätte. Leider hatte ich hierzu keine Gelegenheit. Ich habe immer nur das Reichsgebiet aus beruflichen Gründen bereist und auch meinen Vater, der seit langen Jahren in Ragusa (jetzt italienisch besetztes Gebiet) lebt, nur immer im Reichsgebiet getroffen. Meine Eltern sind seit 5 Jahren geschieden.

Diese Antwort sollte die deutschen Behörden zufriedenzustellen, denn er wurde nicht in eine andere Garnison versetzt, wie es oft der Fall war, und er verließ Frankreich erst Anfang1944. Bei der Befreiung wurde meine Mutter auf Grund und Dank der Zeugenaussagen der Einwohner des Viertels nur während einiger Stunden angehalten. Meine Mutter war mit den anderen Franzosen frei, ohne der Volksahndung ausgeliefert worden zu sein. Ihr Vater, der Professor Fauconnet, hatte nicht auf die verschiedenen Anfragen für eine kulturelle Kollaboration mit den Deutschen, die an ihn gestellt wurden, geantwortet. Sein Verhalten wurde zu keiner Zeit in Frage gestellt und er war nicht im Verdacht der Kollaboration.

Sein Sohn, Pierre