Im Sommer 1943 entdeckt Suzanne, ein einsames Mädchen, deren Mutter verstarb als sie 7 Jahre alt war und vom Vater verlassen wurde, ihren Märchenprinzen Hans. Er war ein Soldat mit typisch deutschen Charakterzügen, hübsch, gut gekleidet, anständig, und er vermittelte ihr die Aussicht auf ein besseres Leben. Sie warteten nicht auf den Sommer 1968, als es hieß: „Mache Liebe und nicht Krieg“. Kurz danach musste mein Vater Hans wieder ins Gefecht ziehen und meine Mutter sah ihn nie wieder.

So erblickte ich am 9, April 1944 das Licht der Welt, als Ergebnis ihres verbotenen aber auch zerbrechlichen Glücks.

Meine Mutter ignorierte das von Marschall Pétain niederträchtige Gesetz, das es erlaubte anonym zu entbinden, um die schändlichen Geburten zu verschleiern. Sie entschied sich, mich zu behalten und mich gegen alle Widrigkeiten groß zu ziehen.

1946 wollte sie eine Aufnahmeprüfung bei der Post zu machen, musste aber feststellen, dass die unverständlichen und willkürlichen aber auch ungerechten Sondergerichte, ihr die Möglichkeit, Beamtin zu werden, verboten. Die Denunziation drang bis dort vor.

Natürlich haben etliche Herren ein Auge auf sie geworfen. Sie zogen sich sogleich wieder zurück als sie meiner Existenz gewahr wurden. Einige wollten sie trotzdem heiraten, wenn sie sich bereit erklären würde mich der Fürsorge zu übergeben.

Eine ledige Mutter zu heiraten; wie entsetzlich!

Also entschied sich meine Mutter mit erheblichem Krafteinsatz für mich, trotz der Schwierigkeiten in Ihrer Situation Arbeit zu finden, in einer kleinen Stadt der Franche-Comté, wo die Engstirnigkeit wohnte.

Ich verbrachte einige Jahre als Pflegekind, in denen ich dem Gespött meiner kleinen Klassenkameraden ausgesetzt war, weil ich keinen Vater hatte. Einige Zeit später, als mich eine Freundin ihren Eltern vorstellte, schnaubte mich ihr Vater an : „Was macht dein Vater ?“ Auch das war schwer zu ertragen.

1960 unternahm meine Mutter Recherchen in Berlin mit Hilfe eines Vermittlers der in Charlottenburg wohnte. Er fand meinen Vater. Aber meine Mutter war von Zweifeln hin und her gerissen zwischen dem Wunsch mich meinem Vater vorzustellen und der Sorge um seine Ehe, die sie nicht zerstören wollte.

1961 war meine Reise nach Berlin geplant. Jedoch wurde vom 12. auf den 13. August die Mauer gebaut. Mein Vater wohnte in Ost-Berlin im „Schönhauser“ Viertel, das nun im sowjetischen Sektor lag. Die Türe war endgültig verschlossen.

Wie andere auch, kümmerte ich mich um mein berufliches Vorwärtskommen und verdrängte die Fragen nach meiner Herkunft.

Am 13. Mai 2003 um 23.30h wurde von Sender FR3 eine großartige Dokumentation von Christophe Weber und Olivier Truc gezeigt über die „Enfants de Boches /Kinder der Deutschen“. Das war das Ende eines Tabus, was zwei Jahre später zur Gründung von 2 Kriegskindervereinen führte. Diese Dokumentation wurde am 28. Februar 2004 zu einer früheren Uhrzeit wiederholt, was klar macht, dass die Denkweisen sich weiterentwickelt hatten.

Wie viele andere nahm ich meine Suche wieder auf. Am 15. Juli 2003 sandte ich meine Suchanzeige an die WASt, eine Behörde in Berlin, die das Wehrmachtsarchiv verwaltet. Am 14. Januar 2004 informiert mich die WASt, dass mein Vater am 29. Dezember 1990 in einem Krankenhaus in Ost-Berlin verstorben war, ein Jahr nach der Öffnung der Mauer.

Durch den Verein „Coeurs sans Frontières / Herzen ohne Grenzen“ und zwei Berliner Vermittlerinnen wurde meine Suche fortgesetzt. Ein Inserat im „Berliner Abendblatt“ brachte kein Ergebnis.

Aber im Dezember 2011 der Sieg !! Eine der beiden Vermittlerinnen findet die Witwe meines Vaters. Entgegen jede Erwartung ist meine deutsche Familie erfreut und ungeduldig mich kennenzulernen. Ich habe eine Schwester, einen Schwager und zwei Neffen.

Am 28. April 2012 treffe ich Ursula, die Witwe meines Vaters und ihre Tochter. Es war ein großer Moment voller Freude und Emotionen. Als erstes gingen meine Schwester Ute und ich zum Grab meines Vaters auf einen hübschen kleinen Friedhof in Berlin. Ich blickte auf seine Grabstätte und sagte: „Du hast mit sehr gefehlt“. Vielleicht sagte ich auch im Traum „Papa“ und das zum ersten Mal in meinem Leben mit 68 Jahren.

Am nächsten Tag lernte ich meinen Schwager Peter und meine Neffen Christian und Mario kennen, sowie Werner den Lebensgefährten von Ursula. Und als Krönung des ganzen konnte meine deutschsprachige Mutter die herzliche Verbindung zu unserer neuen Familie vertiefen und übernahm den Briefwechsel.

Meine Mutter stirbt am 21. September 2014. Gemäß der Tradition meiner tristen Kleinstadt im Jura haben ein paar Leute angekündigt an der Beisetzung teilnehmen zu wollen. Als in der Todesanzeige jedoch der Vermerk „keine kirchliche Bestattung“ erschien, kamen sie nicht.

Anlässlich eines Berlin Besuchs im April 2008 lenkt der französische Außenminister Bernard Kouchner die Aufmerksamkeit auf die Situation der Kriegskinder, die während des 2. Weltkrieges von einer französischen Mutter und einem deutschen Vater geboren wurden. Es handelt sich um eine Zahl von ca. 200.000. Daraufhin beschließt Deutschland, den Kriegskindern, deren deutsche Abstammung nachgewiesen wurde, die deutsche Staatsangehörigkeit zu gewähren.

Am 17. Januar 2014 habe ich dem deutschen Konsulat in Lyon meinen Antrag auf Einbürgerung übergeben. Für mich ist diese Anerkennung sehr wichtig aber rein symbolisch denn ich habe dadurch keinerlei besonderen Vorteile mit Ausnahme, des Wahlrechts für deutsche Wahlen, welches ich unter bestimmten Voraussetzungen wahrnehmen kann.

Am 24. November 2016 teilt mir das Konsulat von Straßburg mit, dass meinem Antrag zugestimmt wurde.

Die offizielle Übergabe meiner Einbürgerungsurkunde würde am 25. Januar 2017 im Konsulat in Paris stattfinden. Die Aushändigung war ergreifend und feierlich und wurde von Konsul Thomas Pröstl, einem sehr freundlichen und sympathischen Herrn, geleitet. Aus der Hand des Konsuls erhielt ich meine Einbürgerungsurkunde. Ich habe meine Loyalität gegenüber Deutschland schriftlich niedergelegt und wir haben in entspannter Atmosphäre mit Champagner angestoßen. In einigen Wochen werde ich 73 Jahre alt, der Kreis hat sich geschlossen. Ein kleiner Wermutstropfen war, dass das Konsulat mir nur fünf Begleitpersonen erlaubte. In einer prächtigen Gaststätte an der „Porte Maillot“, bei einem vorzüglichen Mittagessen, klang dieser denkwürdige Tag aus.

Selbstverständlich behalte ich meine französische Staatsangehörigkeit. Frankreich ist das Land meiner Mutter und Frankreich ist auch unser beider Kulturhintergrund. Ich bin das Ergebnis der republikanischen und konfessionsfreien Schule und habe meine berufliche Laufbahn dem öffentlichen Dienst gewidmet.

Die Tatsache, dass mein Vater anerkannt ist, verleiht mir eine große Abgeklärtheit und innere Ruhe. Jetzt gehe ich aufrecht auf beiden Beinen. Als überzeugter Europäer bin ich binational.

Nach dem Tod meiner Mutter ist es einfacher über all das zu sprechen. Um sie zu schützen habe ich es bisher vermieden. Heute spreche ich darüber, um Menschen in der gleichen Situation zu ermutigen, aus ihrer Verborgenheit herauszutreten. Wenn man mit dieser Art Tabu lebt, ist man davon überzeugt der Einzige zu sein, der in dieser ungerechten Situation lebt und dass alle anderen „normal“ sind.

Ich bin mir bewusst, welche zwei Glücksfälle ich in dieser Angelegenheit hatte. Als erstes, hat meine Mutter mir schon von klein an nichts verschwiegen. Sie nannte mir den Namen, den Vorname, das Geburtsdatum, den Geburtsort und die Adresse meines Vaters. Sie gab mir Fotos und Briefe. Der zweite Glücksfall war, dass mich meine deutsche Familie spontan und herzlichst aufgenommen hat. Wenn ich darüber spreche, sagen viele, dass das eine sehr schöne Geschichte ist. Aber ich habe sie nicht derart empfunden als ich Abschnitt für Abschnitt erlebte. Mit zunehmendem Abstand und der heutigen Reife, denke ich, dass es eine schöne Geschichte ist.

Muss ich erwähnen, dass ich ohne „Coeurs sans frontières/Herzen ohne Grenzen“ kaum das alles erreicht hätte ?

All denen, die ihren Vater noch nicht gefunden haben oder denen, die von ihrer deutschen Familie nicht akzeptiert wurden, möchte ich sagen : Gebt die Hoffnung auf ein Treffen oder auf eine Anerkennung nicht auf!

Ich weiß auch, dass es Recherchen gibt die wahrscheinlich nicht erfolgreich sein werden. So könnte meine Geschichte allen eine kleine Hoffnung bringen.

Jean WILLEMIN