Schlussfolgerungen des Symposions am 20.11.2010 – Mémorial de Caen

Das Geheimnis, eine Familiengeschichte

Gerlinda Swillen

Gerlinda SWILLEN

Es ist nicht leicht die Schlussfolgerungen eines so reichen Symposions zu ziehen. Alle Redner haben gezeigt, wie wichtig das Geheimnis, das auf Personen und den gesellschaftlichen Beziehungen lastet, ist. Es hat politische Folgen, die auch unsere Demokratie und ihre Werte bestimmen.

Die Vernunft lädt uns ein, die Wirklichkeit, in der wir leben, zu ordnen. Aber in einem totalitären Rahmen wie im national-sozialistischen Deutschland, wird ordnen, Ordnung schaffen, eine Art Obsession, weil dieses System

  • die traditionelle Geschichte vernichten will und eine Geschichte nach eigenem Maß schneiden will;
  • das Leben seiner Bürger umgestalten will um sie besser unter Kontrolle zu haben, weil es den Menschen nicht traut;
  • jede widerspenstige Person mit allerart Strafen umerziehen will;
  • jeden Mensch versucht zu normieren, indem es das sexuelle und Gefühlsleben bestimmt und kontrolliert, eine Scheinjustiz organisiert, …
  • durch willkürliche Versetzung, Organisierung der Zwangsarbeit, der Freizeit und Körperübungen über das Leben des Einzelmenschen entscheidet, damit das Individuum in der neuen Geschichte passt und die Ideologie in seinen Körper eingeschärft wird.

Aber die Geschichte, die Aussagen und persönlichen Berichte zeigen uns solch eine Verschiedenheit, dass es sehr schwierig wird sie in genau bestimmte Kategorien einzuordnen. Zugleich brauchen wir wieder zu kategorisieren, wenn wir zum Beispiel eine Person als Deportierte(r) anerkennen wollen.

Wenn die Redner über das Problem der Betroffener eines Geheimnisses sprechen, begegnen wir auf einmal die Intelligenz derjenigen, die ein Geheimnis zu lösen versuchen.

  • Meistens hören sie sehr gut, wenn sie an den Türen lauschen oder wenn sie versuchen Geflüster zu verstehen.
  • Sie sind wahre Meister beim Entziffern der Schrift, der Worte und der Zeichen.
  • Neugier, die Grundlage des wissenschaftlichen Denkens, charakterisiert sie.

Eigentlich sollte man die Kriegskinder bei polizeilichen Ermittlungen und als Detektive einstellen : der Zahl der gelösten Fälle wäre erheblich höher. So werden wir daran erinnert, dass man Kinder nicht unterschätzen darf; sie sind vollwertige Menschen mit ihren eigenen Merkmalen.

Alle Redner haben das Bedürfnis zu wissen betont : es ist ein Mittel gegen Somatisierung, und zugleich hemmt Wissen die vernichtenden Folgen eines Geheimnisses, insbesondere jenes Gefühls der Machtlosigkeit dem Schweigen und der Lüge gegenüber.

Alle diese Feststellungen machen es den Historikern und Forschern nicht leichter. Im Gegenteil. Der Forscher soll sich von allen Vorurteilen befreien. Er soll fähig sein

  • die genaue Wörter, Ausdrücke zu wählen;
  • sich der Notwendigkeit zu ordnen zu fügen;
  • seine Forschungsmethoden zu revidieren;
  • die Erlebnisse zu berücksichtigen;
  • dazu bereit zu sein, sich wieder mit der Kollaboration auseinanderzusetzen.

Diskretion soll er sich zur Pflicht machen, auch wenn er zugleich die Aufgabe hat die Stille zu durchbrechen.

Dieses Symposion hat nochmals das menschliche Bedürfnis sich jeder Kontrolle über seine Intimität zu entziehen, bewiesen. Sind die Kriegskinder nicht einigermaßen eine Art Widerstandszeichen ihrer Erzeuger gegen die totalitären Betreuung vom nazi-Deutschland?

So kommen wir zu den politischen Schlussfolgerungen. Das Recht auf Widerstand lädt jedes Individuum ein sich der Gefahr des Verdachts und der Denunziation bewusst zu werden. Es ist eine imperative Notwendigkeit die Vermutung der Unschuld jedes Menschen zu respektieren bis zum Beweis des Gegenteils. Als Staatsbürger verpflichtet das Recht auf Widerstand uns wachsam zu sein und Kontrolle auszuüben. In diesem Zusammenhang wird es wichtig eine internationale Konvention für die Kriegskinder zu verwirklichen. Die Aufgabe unsere Abgeordneten und politisch Verantwortlichen zu kontrollieren ist nicht möglich ohne Verbundenheit der Bürger und internationale Beratung. Schließlich ist es immer mehr notwendig jeden Mensch zu unterstützen, keine einzige Gruppe auszuschließen.

So beenden wir dieses Symposion mit zwei allgemeinen Schlussfolgerungen :

  1. Jede ermordete, zum Schweigen gebrachte oder geheim gehaltene Person ist eine zuviel. Wir können besser nicht in Zahlen und Statistiken reden.
  2. Diese Vergangenheit, diesen Krieg werden wir nie bewältigen, wenn wir weiter schweigen. Darin zeigt sich die Notwendigkeit solcher Tagungen.

Gerlinda Swillen

Tagungsvorsitzende

Sprecherin BOW i.n

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