Seit 2 Jahren vertraut Meggie uns regelmäßig schöne Texte an, die Sie hier lesen können.
Meggie BECK
Vom Suchen und Finden
Juli 2017
Man sollte vorsichtig sein, bei dem was man sich wünscht!
Jahrzehnte suchte ich nach meiner anderen Hälfte, nach meiner Identität – kurz – nach meinem Vater. Als ich die Suche begann, hatte ich nicht mehr als einen Vornamen, (der sich im Laufe der Suche auch noch als falsch herausstellte) den meine Schwester, die bei meiner Geburt 9 Jahre alt war, in Erinnerung hatte.
Meine Mutter starb 2 Wochen nach meinem 15. Geburtstag, und das einzige, was sie mir erzählte, war, mein Vater sei Franzose gewesen, etliche Frauen hätten nach dem Krieg Verhältnisse mit den Besatzern gehabt und dann ihre Kinder entweder abgetrieben oder zur Adoption freigegeben. Aber sie hätte mich behalten wollen. Ich erlaube mir kein Urteil, ich glaube, das nach dem Krieg und den Schrecken und Entbehrungen des Selben, die Sehnsucht nach ein wenig Zärtlichkeit und Wärme groß war.
Ich wurde von meiner Mutter sehr geliebt und verwöhnt, vermisste meinen Vater aber höchst selten. Viele Kinder in den 50igern lebten ohne Vater, weil diese im Krieg geblieben waren.
Verstörend war nur, das mir manche Kinder auf der Straße „ Franzesle “ hinterherriefen oder ich nicht bei jeder Schulkameradin willkommen war. So flüchtete ich mich aus meiner inneren Einsamkeit in die Welt der Bücher und Phantasie und entfloh so der Realität, träumte mich in andere Welten und Abenteuer.
Nun, ich war 14 Jahre alt, als meine Mutter diese kryptischen Andeutungen machte, und bis zu Ihrem Tode, ein Jahr später, auch nicht bereit war, mehr zu erzählen. Auch von meiner Schwester hörte ich nur immer „ der kleine Franzose“ oder das seine Frau und Tochter aus Frankreich anreisten und wir in eine andere Wohnung umziehen mussten.
Im Laufe der nächste Jahrzehnte versuchte ich immer mal wieder durch Nachfragen bei Verwandten, mehr über meinen Erzeuger in Erfahrung zu bringen, bis ich 2003 durch einen glücklichen Zufall den Nachnamen meines Vaters erfuhr und auch, wohin er von Münsingen (seinem damaligen Stand- und meinem Geburtsort) weiterversetzt wurde.
Ich bin dann nach Aime, einem kleinen Ort in den Savoyer Alpen gefahren, wohin mein Vater versetzt wurde, habe dort in der Gendarmerie und in der Mairie nachgefragt, aber nichts erfahren. Selbst bei der Suche auf dem Friedhof war kein entsprechender Name zu finden. Die Sekretärin des Bürgermeisters hat sich erboten, im Stadtarchiv zu forschen, und schrieb mir dann, das auch dort nicht´s zu finden war.
Vom Landratsamt in Münsingen bekam ich dann die Liste der Wohnungen, in die die Besatzer einquartiert wurden und auf dieser Liste waren auch die Compagnie, die Legion, die Brigade etc. angegeben.
Bei einer Veranstaltung der Uni Köln über Besatzungskinder lernte ich Frau Professor Kleinau kennen, die mir die Adresse von Coeurs sans Frontières gab. Damit begann die heiße Phase des Suchens.
Ich weiß nicht, wer alles beteiligt war und wer was gemacht hat, aber ich bin zutiefst beeindruckt über das Engagement und den Einsatz von Zeit, Geld und Geduld der ehrenamtlich agierenden Mitglieder von CSF! Niemals werde ich gutmachen können, was sie für mich geleistet haben. Merci beaucoup!!!
Durch eine Reihe glücklicher Zufälle oder auch Fügungen, ist es gelungen, sowohl das Grab meines Vaters und die französische Schwester zu finden! Sie ist 87 Jahre, eine entzückende alte Dame mit viel Humor und Esprit. Ich habe sie im Juni besucht und über 2 Stunden mit ihr verbracht.
Auch hier hat mir CSF hilfreich zur Seite gestanden, indem sie mir Georges Roume an die Seite gaben, der mich sowohl moralisch, als auch sprachtechnisch unterstützte.
Meine französische Schwester weiß nicht, dass ich ihre Schwester bin, wir wollten uns langsam herantasten. Und genau das ist das, was ich anfänglich sagte: „mit der Vorsicht beim Wünschen“.
Jahrelang war es mein größtes Bestreben, meine französische Familie zu finden und nun habe ich sie und darf mich nicht offenbaren. Ich bin zerrissen bei dem Wunsch zwischen Wahrheit und Rücksichtnahme. Und ich frage mich, warum diese ewige Suche? Es ging mir ohne das Wissen doch gut! Ich habe mir hier in Deutschland meine eigene kleine – meistens – heile Welt erschaffen, mit meiner Familie und den sozialen Kontakten, aber da war immer dieses leise Bohren im Hinterkopf, wer war ER, wo hat ER gelebt, hat ER an mich gedacht?
Der Mensch ist schon komisch, oder ich bin komisch mit der ewigen Suche nach Wahrheit und Vollkommenheit. Und jetzt habe ich einige Antworten und ich bin noch immer nicht zufrieden.
Ich zermartere mir das Gehirn, wie, wann und wenn überhaupt soll ich es Georgette sagen. Und was mache ich, wenn sie die Wahrheit negiert, mich eine Lügnerin oder Erbschleicherin nennt.
Kann ich damit leben, ein zweites Mal abgewiesen zu werden!
Denn bei aller Schönfärberei und Vatersehnsucht ist es doch Fakt, das er zurück nach Frankreich ging und meine Mutter und ein 16 Monate altes Baby mittellos zurück ließ und sich auch in den folgenden Jahrzehnten nie mehr meldete.
Was für ein Charakter muss ein Mensch haben, der ein Kind zeugt, es 16 Monate mit Liebe überschüttet und dann auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Und von so was stamme ich ab? Ich frage mich, habe ich auch diese Gene? Ich weiß nicht, was damals vorfiel, ob es ein Agreement zwischen meinen Eltern gab, aber es ist müßig, danach zu fragen, es lebt niemand mehr, der dies beantworten könnte.
Ich bin überzeugt, das meine Mutter damals den Grundstein für ihren Krebs legte, immer in der Sorge, wie sie als Kriegerwitwe ihre zwei Töchter durchbringt und lebend mit der Schande eines unehelichen Kindes in einer bigotten schwäbischen Kleinstadt.
Ich stand vor seinem Grab und war nur – leer – ! All das, was ich ihm sagen wollte, was ich mir vorher romantisch zurecht gedacht hatte, war mit einem Mal hohl und unwichtig.
Ich wollte nur noch weg von diesem Grab, der Körper, der da unter der Marmorplatte vermoderte, sagte mir nichts. Ich hatte erwartet, in Tränen auszubrechen, große Gefühle zu haben, aber…, ein Stein, ein Name, ansonsten …Rien !
Die Wut und die Ohnmacht, ihm nicht mehr sagen zu können, wie elend und schäbig er sich verhalten hat, stellten sich erst in der folgenden Woche ein. Und dann das schlechte Gewissen gegenüber Chantal und allen anderen, die sich für mich bemüht und eingesetzt haben. Bin ich undankbar?
Ich bin so müde im Moment, müde des Grübelns, müde des Denkens, müde des ewigen Fragens. Ich weiß, es kommt auch wieder anders, aber offenbar muss ich dieses Jammertal erst mal durchschreiten.
Andererseits habe ich durch meine Liebe zu Frankreich und der Vatersuche so wunderbare Menschen diesseits und jenseits des Rheins kennengelernt, was eine unendliche Bereicherung und ein großes Geschenk ist.
Und als ich in diesem Jahr nach meinem Aufenthalt in der Bretagne Abschied genommen habe, sagte mir meine Freundin Dominique, die ich letztes Jahr kennenlernte und die sich seither mit meinem schlechten französisch in meinen Mails abplagen muss: „ Vergiss nicht, egal wie das mit Georgette ausgeht, du hast eine französische Familie bei uns“
Wie kann man Freundschaft schöner definieren?
September 2017 – Der Reise 2. Teil – Die Offenbarung
Ich habe beschlossen, nochmal in die Bourgogne zu fahren. Ich brenne innerlich, ständig habe ich dieses verdammte Frankreich im Kopf und bin ungeduldig, es endlich hinter mich zu bringen. Was habe ich schon zu verlieren? Entweder sie akzeptiert es oder sie schmeißt mich raus.
Und so fahre ich am 10. September noch einmal in die Bourgogne, im Gepäck eine große Portion Angst und Trotz. Mein Sohn Philippe ist dieses Mal mit von der Partie, da die Kinder beschlossen haben, das ich das nicht allein durchstehen soll.
Montag Nachmittag besuchen wir Georgette, sie ist freundlich, erinnert sich an mich und spricht oft von Münsingen. Ich lade sie zum Essen in ein Restaurant ein, aber sie möchte lieber für uns kochen. Also verabreden wir uns für Donnerstagmittag.
Wir sind inzwischen beide sehr erkältet, und so beschließt Philipp, daheim zu bleiben und ich mache mich allein, mit vielen aufmunternden Wünschen von Freunden und Familie, auf den Weg. Ist wie der Gang nach Canossa!!! Wie sagt man einer 87 Jahre alten Dame, die nie verheiratet war, immer bei den Eltern lebte und seit dem Tod des Vaters 1991 alleine lebt, das der heißgeliebte Papa eine Geliebte hatte, während die nichtsahnende Ehefrau und Tochter zuerst in Frankreich und später auf der Alb lebten, streckenweise alle unter einem Dach.
Lieber Himmel, Sodom und Gomorra. Und dann war die Schwester von „ mon Papa“ auch noch Nonne.
So sage ich ihr, nachdem wir gegessen und ich den Abwasch erledigt habe, ihr Vater und meine Mutter hätten eine Liaison gehabt und ich sei das Resultat dieses Seitensprungs.
Gleichzeitig beteure ich, das ich nichts von ihr will, was mir sehr wichtig ist, nicht das sie denkt, ich sei ein Erbschleicher. Ich wolle lediglich Wissen,… die Stationen seines Lebens und die Geschichte der Familie. Nie werde ich den Ausdruck vergessen, mit dem sie mich Anschaute! Mit großen Augen, das Gesicht ganz ruhig, wie erstarrt. Ich hatte mir im Vorfeld schon die französische Notfall-Nummer notiert, um im Ernstfall die Rettung zu alarmieren.
Aber nach einem Moment der inneren Sammlung, während ich ihr angstvoll gegenüber sitze, meinte sie ganz ruhig, dass nach dem Krieg viele Menschen einsam waren und Nähe und Zärtlichkeit suchten. Auch hätten die 2 unter einem Dach gelebt und wir lachen ein wenig und sagen „Männer“, obwohl meine Mutter bei dieser Aktion auch nicht ganz unbeteiligt war.
Sie fragt mich nach meiner Kindheit in Münsingen und ich weine ein wenig, weil der ganze Druck und Angst und Erinnerungen sich ein Ventil suchen, und sprechen ganz vernünftig zusammen, soweit es meine Französisch-Kenntnisse zulassen. Wir sind wirklich eine Familie von starken Frauen!!!
Aber bei allen Fragen und Antworten kann ich in ihrer Gegenwart nicht von mein oder unser Vater sprechen. Ich spreche von M. André oder votre père und es käme mir wie ein Frevel vor, plötzlich im Plural zu sprechen. Ich möchte ihr nicht weh tun oder etwas beanspruchen, auf das ich keinen Anspruch habe.
Sie war die Tochter, die er großgezogen und geliebt hat. Ich war nur der Bastard, der 16 Monate von ihm gehätschelt und dann bedenkenlos verlassen wurde. Für ihn als Gendarm wäre es ein leichtes gewesen, mich zu finden. Ich habe Georgette gefragt, ob er jemals von mir oder meiner Mutter gesprochen hat, aber „jamais“.
Er ist 1955, nach seiner Pensionierung zurück auf seinen Weinberg und hat das Kapitel „ Fraternisierung“ ganz tief unter seinen Weinstöcken begraben. Ich frage mich, wer ist hier der Bastard. Hätte er wenigstens vor seinem Tod 1991 mit Ihr gesprochen, der Herr Saubermann, damit sie in diesem winzigen Nest nicht allein zurückbleibt. Sie hätte eine Familie haben können in Deutschland und ich eine Schwester, deren Gedächtnis noch voll intakt war.
Aber es ist müßig, darüber zu grübeln, die Situation ist wie sie ist! Nach einer Stunde intensiver Fragen und Antworten, unterbrochen von Phasen des Schweigens, merke ich, das Georgette abbaut und verlasse sie mit der Bemerkung, sie hätte nun genug zum Nachdenken. Sie lacht, sagt, ich müsse unbedingt wiederkommen, umarmt mich und bringt mich zum Auto.
Und während ich über schmale Landstraßen, durch Weinberge und kleine Wälder, vorbei an idyllischen Wassermühlen meiner Wohnung entgegenrolle, singt in Radio ein Tenor die Arie aus „ Carmen“ Auf in den Kampf, Torero.
Ich bin so glücklich, während mir die Tränen über die Wangen fließen, und ich drehe auf volle Lautstärke und singe lauthals mit. Ich habe den Kampf gewonnen, Papa!!!Das sind Momente, die so tief gehen, dass kein legal geborenes Kind das nachempfinden kann.
Am Samstagmorgen komme ich nach dem Einkaufen am Friedhof vorbei, beschließe spontan einen Besuch, vor dem ich mich bis jetzt gedrückt habe, und stehe dann an seinem Grab und sage ihm all die Dinge – nachdem ich mich versichert habe, dass ich allein bin – die sich in 70 Jahren angehäuft haben. War bestimmt nicht angenehm für ihn da unten, weil, den Platz Richtung Himmel hat er nicht verdient.
Samstagnachmittag sind Philippe und ich nochmal bei Georgette, sie ist liebenswürdig und charmant, verwöhnt meinen Sohn, beschenkt mich mit Tomaten und Feigen aus dem Garten und spricht kein Wort über unsere Verwandtschaft. Ich frage sie beim Abschied, ob sie noch weiß, das ich ihre Schwester bin, und sie strahlt mich mit großen Augen an und sagt „Mais oui.“
Und immer, wenn ich mich von ihr verabschiede, sitzt sie auf einen Stock gestützt auf einem Stein, am Ende des Dorfes, einsam und allein. Sie winkt nicht, eine kleine alte Dame, die im Rückspiegel kleiner und kleiner wird. Es zerreißt mir das Herz und versöhnt mich gleichzeitig. Ich hatte keinen Vater, aber ich habe jetzt eine Familie und wir lieben uns alle sehr. Und jetzt hat sie auch eine, auch wenn sie es zwischenzeitlich vergisst . Ich unterschreibe meine Briefe an sie immer mit votre Demi-soeur, und bringe mich so in Erinnerung. Sie ist ein sehr charmanter und liebenswerter Mensch, ich habe vom ersten Moment an eine Zuneigung zu ihr empfunden, und wäre das nicht gewesen, hätte ich mich ihr auch nicht offenbart. Ich möchte die Zeit, die uns noch bleibt, mit ihr verbringen, und ihr zeigen, das ihre deutsche Familie Anteil nimmt an ihrem Leben.
Fazit : Viele Gedanken, viel Schmerz, vieles, das man vergessen glaubt und das jetzt wieder hochkocht, eine kleine Versöhnung mit dem Schicksal, ein Glück, das ich nicht mehr zu erleben wähnte und eine unglaubliche Bereicherung meines Lebens.
Nicht nur durch das Finden meiner Schwester, sondern durch das Kennenlernen all jener, die direkt oder indirekt an der Suche beteiligt waren und meinen Freundeskreis um viele wunderbare Menschen erweitert hat. Merci CSF