Brief an meinen toten Vater

Lieber Papa, lieber Vater,

wie soll ich dich nennen, du Mensch meiner lebenslangen Sehnsucht, Du, der immer nur in meinem Kopf, nie real, nie greifbar, nie für mich existent warst.
Ich habe dein Grab gefunden, nach 70 Jahren mühevollen Suchens, und alle Fragen bleiben weiterhin unbeantwortet. Fragen die mir auf der Seele brennen!

Wo warst du, als ich Dich nach dem Tod von Mama gebraucht hätte, gerade mal 15 Jahre alt, allein, ohne Eltern, mit einem großen Zukunftsfragezeichen?
Ich stelle mir vor, wie Du die Arme um mich legtest und mir sagtest: „Mach dir keine Sorgen, ma petite, ich bin für dich da“.
Aber nein, du hast zu diesem Zeitpunkt Ferien mit deiner Familie in meinem Geburtsort gemacht, wo es dir doch ein Leichtes als Gendarm gewesen sein könnte, mich zu finden.
Und dann kommt sie, die unkontrollierte Wut auf dich, der Zorn, über dein Unvermögen, zu mir zu stehen, meine Ohnmacht und Hilflosigkeit, mir das zuzugestehen, was jedem Kind ein Grundbedürfnis ist…die Liebe seiner Eltern! Bin ich es nicht wert, dass du mich liebst?

Es zerreißt mich manchmal, dieses ambivalente Gefühl zwischen Liebe und Zorn !
Ich möchte mir vorstellen wie du mit Mama in der Küche tanzt, ihr wiegt euch langsam zu den Klängen von „J´attendrai“, das gerade im Radio läuft, Mama trägt ihr schwarzes Seidenkleid mit dem großen roten Mohn – und blauen Kornblumen, ihre schwarzen Haare sind frisch onduliert und ihr Kopf ruht auf deiner Schulter. Du hast die Arme um sie gelegt und singst leise mit, während ich im Erker in meiner Wiege
liege.

Warum kann ich dieses Lied nicht hören, ohne zu weinen? Ich war doch zu klein, um konkrete Erinnerungen an Dich zu haben.
Alles nur sentimentale, krause Gedanken, oder die Sehnsucht nach einer heilen Welt, einer Familie, bestehend aus Mutter und VATER????

Einmal, nur einmal im Leben wollte ich „Papa“ zu dir sagen, einmal meine kleinen Ärmchen um dich schlingen, mein Gesicht an deinen Hals schmiegen, deinen Duft einatmen, einmal den Klang deiner Stimme hören wie du mich zärtlich „ma petite Marlène“ nennst.
Konntest du nicht, oder wolltest du nicht deine bourgeoise Welt durch mich zerstören lassen?

Wo ist der Mut, zu seine Taten zu stehen??? Ihr Franzosen sein doch ein aufmüpfiges Volk, ihr habt dem Adel die Macht genommen, habt eine Demokratie aufgebaut, geht bei allem, was euch nicht passt auf die Straße, aber zu seinem Kind zu stehen , ist nicht drin ? Konntest du nicht spätestens nach Eintritt deiner Rente, als keine Gefahr mehr für dich bestand, selbige durch deine Fraternität mit dem Feind zu verlieren , zu
mir stehen ? Nein, auch da hast du geschwiegen!!!! Ich möchte dich schütteln, dir sagen, wie schändlich du gehandelt hast, wie du dich  davongestohlen hast und wie wütend du mich machst und voller Selbstzweifel. Und gleichzeitig kommt der Trotz !

Ich habe es auch ohne DICH geschafft, ein gutes Leben zu haben, vielleicht dank der großen Liebe von Mama zu mir. Ihr verdanke ich mein Leben, meinen Charakter, mein Sentiment. Kannst du verstehen, dass sie mir so sehr fehlt und ich manchmal mit ihr spreche, obwohl sie seit 59 Jahren tot ist.

Und was ist mit Georgette, deiner legitimen Tochter, die ihr ganzes Leben mit euch verbracht hat. Hattest du nicht nach dem Tod deiner Frau noch 10 Jahre Zeit, um ihr von mir zu berichten, und sie nicht gänzlich allein in diesem Kuhnest zurückzulassen und der Pflege und Willkür anderer zu überlassen? Wir hätten Zeit gehabt uns kennenzulernen, bevor sie dement wurde! Sie hat mir die Bilder gezeigt, auf denen du
und Mama abgebildet seid, damals nach dem großen Krieg. Wie hast du das deiner Familie erklärt? Das du nur ihre Wohnung zugewiesen bekommen hast, als du als Besatzungssoldat auf die Alb kamst und ihr euch zwangsläufig die Zimmer teilen musstet und Mama deinen Haushalt machte.???

Es gibt Tage, an denen ich meine, dass mir das Herz bricht. Jeden Tag bist du in meinen Gedanken! Du machst mich wütend, traurig, sentimental, und manchmal möchte ich schreien, gegen die Wand schlagen und dich und die Umstände zum Teufel wünschen, und doch, und doch….

…. „Ich liebe Dich, Papa!“

Deine Tochter

Marie Marlène

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